6722860-1965_19_11.jpg
Digital In Arbeit

Klytamnestra an der Scala

Werbung
Werbung
Werbung

In der Tragödie „Klytämnestra“ wurden 600 Maulesel auf die Bühne gebracht. Wer's nicht glaubt, kann's nachlesen: bei Cicero („Ad familiäres“ VII/1, 2). In der Mailänder Scala wurde vor kurzem auch eine „Klytämnestra“ uraufgeführt. Mit Musik von Ildebrando Pizzetti. Und ohne Maulesel. Schade. Sie wären die einzige Überraschung an diesem Abend gewesen.

Alles andere traf wie erwartet ein. Das Libretto stammt vom Komponisten. Geich drei antike Dramen mußten dazu herhalten: die „Elektra“ des Sophokles und zwei Drittel der „Orestie“ des Aischylos, „Agamemnon“ und „Die Choe-phoren“. Pizzetti erklärte sich außerstande, „Die Eumeniden“ zu veropern, wie Aischylos sein abschließendes Spiel von der Zähmung der Erinnyen und von der Entsühnung des Orest bekanntlich etwas euphemistisch betitelte.

Ein weit ärgerer Euphemismus wäre es, Pizzettis „Klytämnestra“ eine gelungene Oper zu nennen. Was aber — wie zu erwarten war — geschehen ist... Der Chor hat zwar größere Aufgaben als in früheren Bühnenwerken des Komponisten. Aber von einer Erneuerung des antiken Chordramas kann nicht gesprochen werden. Endlich eine Sängeroper? Auch nicht. Denn die fluchbeladene und blutbefleckte Atridenfamilie hat weniger zu singen als singend zu reden. Und was sie zu sagen hat, das ist größtenteils bis zum Überdruß bekannt. Den Rest hat Pizzetti erfunden. Überflüssigerweise. Die Moral von der Geschichte: Die attische Tragödie ist keine transportable Einrichtung (E. R. Curtius). Orchesteroper, wie die „Elektra“ von Strauss, ist Pizzettis musikalische Moritat vom vierfachen Mord (auch der Kassan-dra bleibt nichts erspart) schon gar nicht. Was also ist diese „Klytämnestra“? Das Alterswerk eines konservativen Komponisten. Und nicht einmal das zur Gänze. Denn der Meister aus Parma hat auf Kompositionen zurückgegriffen, die bereits 1930 für die Aufführungen des „Agamemnon“ von Aischylos in Syrakus entstanden sind ...

Bei der fragwürdigen Uraufführung — der achten (!) einer Pizzetti-Oper an der Scala — „sang“ ein frischgebackener „Commendatore“ die Titelpartie: die vom Ordens- und Titelsegen gestreifte Sopranistin Clara Petrella. Pizzetti-Experte Gianandrea Gavazzeni bemühte sich um die Gestaltung der diffusen Partitur, über deren ephemere Bedeutung auch 600 Maulesel nicht hätten hinwegtäuschen können. Margherita Wallmann (Regie) und Attilio Colo-nello (Bühnenbild) erlagen der Versuchung zum Bombastisch-Monumentalen. Nach Pizzettis eigenen Worten ist „Klytämnestra“ seine „endgültig letzte Oper“.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung