Darstellung tötet Vorstellung

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Seit 2005 reist die niederländische Theatergruppe Hotel Modern mit "Kamp", auf Deutsche ganz einfach "Lager", um die Welt, nun gastierten sie bei den Festwochen.

Der schlichte Titel verrät präzise, worum es geht. Auf der Bühne ist ein "beinahe exaktes" Miniaturmodell vom Konzentrationslager Auschwitz aufgebaut, in dem drei Spieler kleine handgemachte Figurinen zu kleinen Szenen arrangieren, Bewegungen animieren, die durch Handkameras gefilmt auf eine im Hintergrund hängende Leinwand projiziert werden. Was die Zuschauer in den 60 wortlosen Minuten zu sehen bekommen, ist also zweierlei: Drei Performer 'spielen' den Alltag im Konzentrationslager sowie stumme Szenen des grausamen Geschehens als Animationsfilm: die Ankunft der Deportationszüge, die Selektion, die unmenschliche Behandlung durch die Wachmannschaft, eine Hinrichtung, schließlich die massenhafte Vernichtung in den Gaskammern, das Einlassen von Zyklon B, die Leichenberge und zuletzt die Arbeit des Sonderkommandos im Krematorium, wo unablässig ausgemergelte Menschenkörper in die Verbrennungsöfen geschoben werden.

Anders gesagt wird zwar verfremdet, aber doch konkret bildlich gezeigt, wovon keine Bilder existieren. Und da beginnt das eigentliche Problem.

Das Gebot der Ernsthaftigkeit kann der Gruppe nicht abgesprochen werden. Trotzdem ist es mehr als heikel, auf diese Weise zeigen zu wollen, "wie diese Maschinerie funktionierte", wie die Gruppe in einem Interview ihre Absicht darlegt. Die Illustration der äußeren Vorgänge vermag nichts zu erklären - ganz abgesehen vom "Darstellungsverbot", für das sich vor allem Claude Lanzmann stark gemacht hat, - und die Verfremdung durch Figuren kann in diese Richtung als Verbot oder Scheitern der Repräsentation gelesen werden oder aber als Schutz vor dem Effekt der sekundären Traumatisierung, die auch durch Bilder des Grauens ausgelöst werden kann.

Ausgespart bleibt das unermessliche individuelle Leiden der Opfer und dunkel bleiben die innere, mentale Disposition, die Kälte und Empathielosigkeit der Täter, die das systematische, millionenfache Töten mit technokratischer Effizienz erst möglich gemacht hat.

Erfahrungen aus zweiter Hand

"Kamp" überschreitet die Grenzen dessen, was vorstellbar ist, durch konkrete Bebilderung der Vernichtung, ist dabei aber mehr als dem historischen Auschwitz den kulturell vermittelten Bildern der Populärkultur nahe. Wiederholt hat der Betrachter das Gefühl, Bilder von Ausschwitz-Filmen zu sehen. Die Arbeit unterschlägt, dass sie Erfahrungen aus zweiter Hand, eine Nacherinnerung und damit bloß eine eigene Art von historischer Wirklichkeit konkretisiert und mithin nichts Authentisches hat, sondern vielmehr durch vorgeprägte Bilder, Fotografien und Filme vermittelt ist. Und vielleicht lässt "Kamp" den Betrachter auch deswegen kalt, weil die reale Hölle im ästhetischen Schein nicht zu überbieten ist. Nur durch die Aussparung gibt es eine Vorstellung vom Unvorstellbaren.

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