Würgeengel - © Foto: Marcel Urlaub

"Der Würgeengel": Her mit der Avantgarde!

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Bei der Uraufführung der grotesken Collage „Der Würgeengel“ im Volkstheater hat das zehnköpfige Ensemble mehr als genug zu tun.

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Bei der Uraufführung der grotesken Collage „Der Würgeengel“ im Volkstheater hat das zehnköpfige Ensemble mehr als genug zu tun.

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„Haben oder besitzen, das ist der ganze Kummer“, lautet in Abwandlung des bekannten Hamlet-Ausrufs ein Zitat aus Luis Buñuels vielschichtigem Werk. Der spanisch-mexikanische Filmemacher hielt der bourgeoisen Gesellschaft seiner Zeit gern den Spiegel vor. Das Wiener Volkstheater zeigt mit „Der Würgeengel“ eine Hommage an das Künstlergenie. Regisseur Sebastian Baumgarten verschränkt dazu gleich zwei Arbeiten Buñuels zu einer surrealen Theaterposse. Das gleichnamige filmische Meisterwerk aus dem Jahr 1962 sowie Miniaturszenen aus „Hamlet“, einem fast vergessenen Theaterstück aus seiner frühen Schaffenszeit. Außerdem in die Aufführung miteingeflochten: einige satirisch-verspielte Fluxus-Projekte Yoko Onos sowie Ausschnitte aus ihrem grandiosen Kurzfilm „No. 4 – Bottoms“, der lediglich aus der Aufnahme eines wohlgeformten Hinterteils besteht. Eine Uraufführung, die sich also ganz den Avantgarde-Bewegungen des 20. Jahrhunderts verschrieben hat und sie zur comicstriphaften Groteske collagiert.

Das zehnköpfige Ensemble (darunter Andreas Beck, Claudio Gatzke, Evi Kehrstephan und Lavinia Nowak) hat bei dieser Aufführung mehr als genug zu tun. Zwischen den Episoden aus Buñuels burleskem „Hamlet“-Liebesdrama, das mit Verve und gezogenem Degen vorm Theatervorhang gespielt wird, sind die wesentlichen Erzählstränge und wortge treuen Passagen aus der „Würgeengel“-Filmvorlage in einem psychodelischen Gruselkabinett zwischen verschachtelten Wänden und verzerrten Spiegelplatten zu meistern (Bühne: Tobias Rehberger).

Eine illustre Runde wird hier von einem geheimnisvollen Zauberbann am Verlassen der Abendgesellschaft gehindert. Willenlos und zunehmend devastiert geben sich die Eingeschlossenen der aussichtslosen Situation hin, Fliegen schwirren um sie herum (tolle Soundeffekte von Giorgio Mazzi), nur der Hausdiener Julio muss weiter schuften und wird hemmungslos herumkommandiert. Die formelhafte Sprache und ausdrucksstarke Gestik, in die sich immer mehr Wiederholungen einschleichen, ergeben eine überzeugende theatrale Übersetzung des filmischen Ausgangsstoffes, doch ohne Kenntnis der Originalvorlage ist den verworrenen Handlungssträngen kaum zu folgen.

Der Rhythmus des Stücks ist hastig, es bleibt keine Zeit zum Verschnaufen, hier ist alles grell, laut und absurd. Nach fast zwei Stunden scheint der Bann gebrochen, die Schauspieler können endlich die Rampe erreichen, doch plötzlich beginnt der Déjà-vu-Reigen von vorne, Sätze und Gesten werden erneut wiederholt, von dieser Bühne gibt es wirklich kein Entkommen. Zum Glück war das nur der Abschlussgag, denn die burleske Montage geht ziemlich an Nerven, Ohren und Augen der Zuschauer und lässt einen ganz schön ratlos zurück. Insgesamt aber ein durchwegs gelungener Abend voller surrealistischer Theaterkunst und phantastischer Darsteller.

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