Ein letzter Triumph über das Schicksal

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"Traurig schön, wie Tobias Moretti als Desiré die einstige flüchtige Liebe heraufbeschwört, er tief melancholisch das verpasste Leben in die Gegenwart seiner Imagination hinüberrettet."

Für sein (überfälliges) Debüt am Wiener Burgtheater hat Luk Perceval ein eigenes Stück mitgebracht, dem vordergründig ein heikles Thema zugrunde liegt: Der vielfach ausgezeichnete belgische Regisseur hat den Roman "De laatkomer" seines flämischen Landsmannes Dimitri Verhulst zum Ausgangspunkt seines Stückes "Rosa oder Die barmherzige Erde" gemacht. Verhulst erzählt auf mitunter drastische Weise die Geschichte des in die Jahre gekommenen ehemaligen Bibliothekars Desiré, der sich entschließt, vor der Enge seiner lieblosen Ehe ins Altersheim zu flüchten, indem er vor der ganzen Welt den Demenzkranken mimt. Er lernt schnell, seine Nächsten nicht mehr zu erkennen, nur noch Unsinn zu lallen und überwindet sich sogar, den Inkontinenten zu simulieren. Mit diesem Umweg über die Verstellung gelingt es Verhulst, ein höchst aktuelles Thema gleichsam durch Komik gemildert anzuschneiden.

Was durch den Relativsatz im Titel der deutschen Übersetzung von Verhulsts Roman unmissverständlich zum Ausdruck gebracht wird, "Der Bibliothekar, der lieber dement war als zu Hause bei seiner Frau", ist bei Percevals Überarbeitung allerdings so eindeutig nicht. Es scheint so, als würde er sich eher am Originaltitel "De laatkomer" orientieren, was wörtlich übersetzt soviel wie "Der Nachzügler" oder "Der Zu-spät-Gekommene" bedeutet. Sein Desiré, den Tobias Moretti auf sehr anrührige Weise spielt, oszilliert aus diesem Grund zwischen der Ahnung seiner aufkommenden Demenz und der Möglichkeit, mit einer bloß vorgespielten senilen Vergesslichkeit seinem Leben entfliehen zu können. So lässt er Desiré gleich zu Anfang sagen: "obwohl die Tat selbst vollkommener Absicht entspringt [ ] hatte ich keine andere Wahl." Das darf man wohl so verstehen, dass Desiré der drohenden Demenz noch einem letzten Triumph entgegensetzt: ein Akt der Selbstbestimmung.

Berührende Szenen

Im Heim begegnet Desiré seiner einstigen Jugendliebe Rosa, von der es heißt, dass er ihr in einem "kapitalen Moment" seines Lebens gegenüberstand "auf dem Balkon vom Tanzsaal". Damals war "der Teppich des Glücks vor mir ausgerollt, und ich bin nur drüber gestolpert." Die Begegnung mit der einst "umwerfend betörenden Frau", die heute allerdings nur noch stumm, "ein gähnend leerer Kopf" ist und ihn daher nicht erkennen kann, setzt in ihm einen Erinnerungsstrom in Gang, mit dem das "Gestümper", mit dem er sie damals "aus seiner Zukunft vertrieben hat", wenigstens in der Erinnerung umgedeutet werden soll.

In zuweilen traumhaft wirkenden Szenen, in welchen Perceval ganze Dialoge aus Shakespeares "Romeo und Julia" mit dem Geschehen verrührt, wird aus dem alten Mann für Momente der jugendliche Liebhaber Romeo. Traurig schön, wie Moretti die einstige flüchtige Liebe heraufbeschwört, er tief melancholisch das verpasste Leben in die Gegenwart seiner Imagination hinüberrettet. Kein Rat des Pflegers, der mit Benvolios Worten spricht -"denk niemals mehr an sie. Vergiss" - vermag den Entrückten zu erreichen.

Dieses Paradox, der Demente, der nicht vergessen kann und sich dem Schmerz über das verpasste Leben überantwortet, macht diesen Abend so melancholisch bleiern schwer. Kontrastiert werden diese Traumpassagen durch Routine verratende Handgriffe des Pflegepersonals oder durch Begegnungen mit Mitgliedern der Familie. Eine der berührendsten Szenen des Abends ist dabei seine Begegnung mit der liebenden Tochter (Sabine Haupt), ein letztes Gespräch zwischen Vater und Kind, wie sie aneinander vorbeireden (müssen), bis sie schließlich resigniert: "Scheiße. Deine Krankheit geht mir so an die Nieren, Paps, weißt du? Mir besonders." Ganz anders ist Gertraud Jesserer als Desirés Frau Moniek. Sie ist eine bittere verhärmte Frau, die ihm nicht verzeiht, dass sie aus seinem Gedächtnis entschwunden ist, und zwar so gründlich und spurlos, dass nicht mal mehr ihr Name existiert. Sie quittiert das mit einem bitteren "keine Vergangenheit mehr, keine Zukunft. Ich will meine Zukunft. Meine! Nicht dieses Dahinvegetieren."

Die Szenerie ein glücklicher Wurf

Ein glücklicher Wurf ist die Szenerie: Auf die Bühne des Akademietheaters hat Katrin Brack ein zum Publikum hin offenes Halbrund eines Amphitheaters gebaut, in dessen Mitte sich eine Drehscheibe befindet, auf der sich größtenteils das Geschehen wie auf einem Präsentierteller abspielt. Am Anfang gleich werden zwölf sehr betagte und gebrechliche Damen von Pflegern auf die fünfstufige Tribüne geleitet, von wo sie als "Vergissmeinnicht-Chor" meist stumm das Geschehen verfolgen. Sie sind Betrachterinnen des Spiels vom Altsein wie auch für den Zuschauer, authentische Darstellerinnen des Alters, Betrachtete. Der Blick auf unsere Zukunft.

Rosa oder Die barmherzige Erde Akademietheater, 7., 29. April

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