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Ernsthaftes Spiel mit dem Federball

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DRAMEN. Von Jean Giraudoux. Herausgegeben von Otto F. Best, in Verbindung mit Jan-Pierre Giraudoux. S.-Fischer-Verlag. Zwei Bände. 538 und 545 Seiten. Preis 54 DM.

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DRAMEN. Von Jean Giraudoux. Herausgegeben von Otto F. Best, in Verbindung mit Jan-Pierre Giraudoux. S.-Fischer-Verlag. Zwei Bände. 538 und 545 Seiten. Preis 54 DM.

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Der Dramaturg und Theaterleiter Louis Jouvet schrieb einmal: „Sollte ich während meiner künstlerischen Laufbahn keinen anderen Ehrentitel erwerben als den, die Stücke von Giraudoux gespielt zu haben, so würde mir das genügen." Und Andrė Gide sagte über ihn: „Keine Macht der Welt, außer der Barbarei, vermag dem Lächeln Giraudoux’ zu widerstehen.“ Man könnte eine ganze Blutenlese solcher und ähnlicher Urteile über das Werk von Giraudoux zusammenstellen, und zwar nicht nur aus der Feder seiner Landsleute. Dabei würden die deutschen Literaten und Theaterleute fast die Spitze halten. Denn Giraudoux verkörpert, in feinster Ausprägung, getrau das. was die Welt aift französischen Geist schätzt, an jenem Frankreich, das der Welt soviel Anmut, Helligkeit, Logik und Geistesklarheit geschenkt hat — das heute von schweren Sorgen verdüstert ist, das wir aber trotzdem unsterblich wähnen.

Giraudoux bringt infolge seiner Weitläufigkeit noch ganz besondere Voraussetzungen mit, dieses Frankreich zu repräsentieren. Der 1882 in Bellac geborene Autor (wahrscheinlich stammt daher der Titel eines seiner letzten Stücke: „Der Apoll von Bellac") absolvierte die berühmte und traditionsreiche Ecole Nor male Superieure, studierte Germanistik und unterzog sich anschließend der Agrėgation, war also für den Beruf des Mittelschullehrers ausgebildet. Aber statt in die Schule trat er bei der Familie Sachsen-Meiningen in München als Hauslehrer ein. Ein Jahr lang lebte er in Harvard als Lektor der französischen Sprache, 1907 war er als Feuilletonredakteur beim „Matin“ tätig, und 1910 ging er in den diplomatischen Dienst, wo er rasch Karriere machte.

Der Schriftsteller Giraudoux hatte erst später Erfolg, und zwar erstmalig mit dem 1921 veröffentlichten Roman. „§uzange_ et k Pązifiaue“( (cįem ein jugendroman vorausg’egängen Wat), der das Schicksal “einer schiffbrüchigen Französin ahf einer Insel im Pazifischen Ozean erzählt. Hierauf folgte „Siegfried et le Limousin“ (die Familie von Giraudoux stammt übrigens aus dem Limousin), ein ironisch-ernster „faustischer Dialog“ zwischen Deutschland und Frankreich, aus dem 1928 Giraudoux’ erstes erfolgreiches Theaterstück „Siegfried“ wurde. Etwa ein weiteres halbes Dutzend Romane folgten, bis Giraudoux die Bekanntschaft mit Louis Jouvet machte, die für seine Laufbahn als Dramatiker entscheidend wurde.

Fast alle Stücke von Giraudoux hatten Erfolg und gingen nicht nur über französische Bühnen. Die ! 4 in der vorliegenden zweibändigen Ausgabe vereinigten Stücke wurden ausnahmslos auch von deut-

sehen Theatern, und zwar von sehr vielen, gespielt: von „Siegfried“ über „Amphi- tryon 3 8“, „Judith“, „Elektra“ und „Undine“ bis zu der nach Giraudoux’ Tod uraufgeführten „Irren von Chaillot“ und der aus dem Nachlaß veröffentlichten „Lukrezia“ (Giraudoux ist bereits 1944 in Paris gestorben. Das letzte Stück, dessen Uraufführung er erlebte, war das bittere „Sodom et Gomorrhe“).

Für viele seiner Stücke bediente sich Giraudoux alter Fabeln. Aber wie er sie verwandelt, ja umfunktioniert — das eben ist seine große Kunst. Seine Phantasie ist geistvoll und romantisch zugleich, seine Entstellungskunst unerschöpflich, was er treibt, bezaubert zunächst durch eine absolute Wirklichkeitsferne. „Soziale“ Gesichtspunkte gibt es kaum zu entdecken. Giraudoux ist also das genaue Gegenteil und heitere Widerspiel eines sozialistischen Realisten, ln seiner gewichtlosen Geistwelt, die nach der Logik der Ironie funktioniert, fehlt die Kategorie des absolut Bösen, des Hoffnungslosen, un-

wiederbringlich Verlorenen. Aber sie entbehrt, trotz ihres Skeptizismus und der Trauer über die Schicksalsblindheit des Menschen, nicht der Menschenfreundlichkeit. Der Traum, die Idee von Giraudoux, ist; eipr(dem Menschen mögliches Glück, eine unbefangene und weise Art, zu leben. Das ist das ernsthafte Anliegen dieses eleganten Federballspielers.

Der vorliegenden, besonders sorgfältig und schön ausgestatteten Ausgabe haben die Herausgeber — Otto F. Best und der Sohn des Dichters — im allgemeinen die Bühnenfassungen zugrunde gelegt. Der bibliographische Anhang nennt etwa ein Dutzend verschiedener Übersetzer und vermerkt die Daten der Uraufführung sowie der deutschen Erstaufführung der 14 Stücke. Auch sind zahlreiche Varianten angegeben. Die Lektüre der beiden Bände vermittelt jene Heiterkeit, die heute so selten ist.

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