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Giraudoux in Linz

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Das Linzer Landestheater brachte Jean Giraudoux's „Die Irre von Chaillot“ als Erstaufführung in den Kammerspielen in einer flüssigen Ubersetzung von W. M. Treichlinger und O. Best. Das Stück unterscheidet sich wesentlich vom „Theater des Absurden“. Giraudoux war keineswegs bereit, den Zustand in der Welt, seit sich die Menschen vielfach von ihren metaphysischen Bindungen lösten, als Gegebenheit anzuerkennen. Er will vielmehr durch sein poetisches Theater die Menschen aufrufen, für ihre Freiheit und Würde zu kämpfen. Das Groteske in diesem seinem letzten Stück ist jedoch, daß er die rechte Einstellung durch vier Frauen proklamieren und durchsetzen läßt, die als Irre gelten. Sie sprechen das Urteil über die nihilistischen Verbrecher, und die Irre von Chaillot, deren Urbild Giraudoux tatsächlich dort begegnete, vollzieht es.

Die ausgezeichnete Regie Hasso Degners bringt die poetischen Feinheiten des Stückes zur Geltung und kontrastiert scharf die Welt der verbrecherischen Ausbeuter von der Welt der untätigen Träumer. Vielleicht hätte man den 2. Akt mit den Spleens der Irren etwas straffen können. Hans Ohland steuert einstimmende Bühnenbüder bei, Peter Berne eine unaufdringliche Musik. Vor allem aber führt Elfriede Goll-mann in der Titelrolle das Stück zu einem vollen Erfolg. Sie versteht es, die märchenhafte Zartheit und dramatische Kraft der Dichtung bruchlos zur Wirkung zu bringen. Dabei assistieren bestens die Damen Hanke, Strambowski und Johannsen als die Irren von Passy, von Saint Sulpice und von La Concorde. Sie leben noch in einer vergangenen Zeit, in der sie irgendein Erlebnis aus dem seelischen Gleichgewicht brachte. Groteskerweise bringen diese geistig Verwirrten die Entschlußkraft auf, die Schädlinge der Menschheit, von Giraudoux durch vier extreme Typen auf die Bühne gebracht und von den Herren Mat-thes, Englert, Gensichen und Görden pointiert dargestellt, aus der menschlichen Gesellschaft auszustoßen. Um diese Träger der Handlung gruppiert der Dichter Personen, die einerseits die Indolenz eines Großteils der Menschen illustrieren sollen, anderseits ihm die Möglichkeit geben, den tragischen Kern des Stückes mit märchenhafter Poesie zu umkleiden. Die Stellen sind gut besetzt und geführt. Das Premierenpublikum dankte für Stück und Aufführung mit starkem Beifall.

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