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Krieg und Frieden bei Giraudoux

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Das Schauspiel „Der Trojanische Krieg findet nicht statt“ kam 1935 heraus. Heute wirkt es wie eine Vision mit zwei Gesichtern. Das eine, erste, sieht dem entgegen, was da in den Jahren vor dem zweiten Weltkrieg gesagt und nicht gesagt, getan und nicht getan wurde und sich dann zum Knäuel ballte, der den Krieg in sich trug. Das zweite Gesicht weist über 1945 hinaus, auf das heikle und schwere Geschäft des Friedens. Des Friedens, der vor uns liegt, der zu gewinnen, zu schaffen ist.

„Der Trojanische Krieg findet nicht statt ist das bedeutendste Bühnenwerk von Jean Giraudoux; was nur dann bestritten werden mag, wenn man verkennt, wie dicht in ihm das Gewebe ist, das ein poetisches und ein politisches Element vereint. Die Tragiker Europas haben sich nie zu dem närrischen Aberglauben bekannt, daß ein politisches Lied ein garstiges Lied sei. Die attische Tragödie ist ebenso politisch wie Shakespeares Königsdramen, wie die klassische Tragödie des königlichen Frankreichs, wie das...Drama in Spaniens „Goldenem, Zeitalter ., und im Oesterreich des kaiserlichen Barocks. Polis und Poesie, Politeia und Dichtkunst gehören, das gehört zum Glaubensbekenntnis europäischer Humanität, so enge zusammen wie das Haus der Götter, das Haus des Staates, der Stadt und das Haus, als intim-öffentliche Lebensgemeinschaft von Mann und Frau. Friede ist, das ist die klassische Lehre und Weisheit von mehr als zweitausend Jahren Alteuropa, Friede des Hauses: Wo immer dieser Friede gestört, gebrochen wird, übernimmt der Krieg die Herrschaft

Eben diese klassische Einheit bot sich dem Dichter der Alten und der Neuen Welt im Sinnbild des Trojanischen Krieges eindrucksvoll dar. Der Krieg entsteht aus einem Hausfriedensbruch. Paris raubt Helena. Giraudoux, ein Mensch unserer Zeit, der in der Zwischenzeit zwischen den Kriegen den kaum verrauchten Krieg naher Vergangenheit und den kommenden Krieg mit allen Nerven des Geistes spürt, begnügt sich jedoch nicht mit der Anzeige äußerer und äußerlicher Kriegsursachen. Gewisse Freunde des Friedens haben das große, edle Geschäft der Friedensstiftung nicht selten dadurch in Verruf gebracht, daß sie es zu leicht, zu billig meinten: Da galt es also, einen Sündenbock zu finden, einen Verbrecher und Uebeltäter, der an allem schuld sein sollte. Wie denn überhaupt in äußeren und äußerlichen Aktionen die Ursache des Krieges ersehen wurde.

Giraudoux macht es sich und uns nicht so leicht: er zeigt auf, wie tief im Haus des Friedens der Krieg wohnt: ein Bohrwurm, der längst an der Arbeit ist, die Häuser des Friedens zu zerstören; eine Säure, die, von innen her, das Bild des Friedens zerfrißt, gerade auch in den Herzen der Menschen, die doch guten Willens sind und den Frieden wirklich wollen. Der Friede — von Giraudoux in einer Gestalt personifiziert, die an Goethes Euphorion erinnert — ist krank, ist schwach selbst und gerade in den Herzen der Friedfertigsten. Das ist aufregend, ist bitter. Es sind also nicht die kriegslüsternen Priester, durch Jahrtausende hindurch zum Krieg treibend, sie, die da aus den Eingeweiden der Opfer „erkennen“, daß die Gottheit den Krieg wolle, worauf Hektor, der Mann des Friedens, erwidert: „Ich würde viel dafür geben, um auch die Eingeweide der Priester zu beschauen ...“

Es sind sodann nicht jene Männer des Rechts und des Völkerrrechts, hier durch Busiris vertreten, die ebenfalls in Jahrtausenden die Kunst entwickelten, jeden Rechtsbruch durch ein Rechtsbuch zu decken, jede Gewalttat als Rechtsakt und jeden Krieg als ein Werk der Befreiung zu erklären. — Es sind nicht die Dichter und Denker, hier präsentiert durch den trojanischen Dichter und Senatsvorsitzenden Demokos, die, eben zuletzt wieder 1914 und am Vorabend von 1939 in unserem engeren Raum den Krieg als Vater aller guten Dinge besungen haben. Es ist, zum dritten, nicht das „Volk": ein Volk von Mitläufern und Gaffern, das sich am Krieg berauscht wie an Absinth, am Bier aus dem Höllenbräuhaus.

Das alles sind, wenn man in Giraudoux etwas mehr hineinblickt, Statisten. Statisten, die den Krieg umstehen; die ihn in ihren schwachen, eitlen Hirnen und ihren kranken Herzen tragen wie einen Bazillus, der jederzeit durchbrechen und die tödliche Krankheit des Krieges erzeugen kann, da es an Abwehrstoffen, an heilenden Kräften fehlt.

Ist es Helena? Ist es Paris? Giraudoux läßt keinen Zweifel darüber, daß diese „Kriegsursachen“ nur glänzende, die glänzendsten, in die Augen springendsten Statisten sind. Gewiß, auslösende Momente, wie — wir stocken, wenn wir Giraudoux 1935 den Vorblick auf „Danzig“ 1939 wagen sehen: Diese „kleinen Dinge“ stellen nicht viel vor. „Manchmal ist es ein Marktflecken, beinahe ein Dorf, eine kleine Königin, beinahe ein kleines Mädchen. Aber wenn ihr es anrührt, nehmt euch in acht!“ Nun, Berlin 1959 ist kein Dorf und kein kleines Mädchen — aber alles, was Giraudoux 1935 über jene „seltsamen Wesen“, die Kriege auslösen können, sagt, trifft auch hier zu ...

Wo aber sitzt der Krieg? Nun, er nistet in den Nestern der Narren, in der Begehrlichkeit der Händler und Krieger, der Tollheit der Friester und Fachleute: das alles zeigt Giraudoux in seinem Reigen der Menschen, die dem Krieg entgegentanzen. Das aber ist, damals und heute, nicht das Letzte, Wichtigste. Das Bitterste, der harte Kern der wichtigsten Wahrheit. — Es gibt, was Giraudoux mehrfach in diesem seinen Schauspiel von der Entstehung des Krieges darlegt, verschiedene Wahrheiten. Niedere, kleine, schäbige .Wahrheiten. Und es gibt höhere Wahrheit: Sie strebt Hekuba an, die eine Wahrheit will, die den Frieden zeugt.

Damit nähern wir uns der innersten Achse dieses Dramas: Die Friedenswilligen und selbst Hektor, der Prächtige, nach Innen hinein Tapfere, der Mann des Friedens, der Ajax die Wange zum Schlag, zur Ohrfeige hinhält, versagten hier und tragen, ungewollt, noch durch ihr Verhandeln und Paktieren selbst zum Nahen des Krieges bei. Warum? Weil selbst diese Friedfertigen nicht Träger einer höheren, einer stärkeren Wahrheit sind, die die Wahrheiten des Krieges überwindet. In der Seele der Kriegsgegner lebt kein mächtigeres Bild, das mit der Kraft der Zukunft, des guten Zukommenden,

den Krieg, das heißt die schlechte Gegenwart, die Welt, so wie sie ist, überwindet. Solange dies so bleibt, werden die Friedfertigen unterliegen, werden die schwachen, kranken Männer des Krieges gewinnen. Nicht weil diese Männer des Krįęgę ijųięiįĮįcį I štark, sind ąojųdem.jvfiį jLįfį, MeA &ra4teŠ IM&ensrällen/ iifiä.

Hektor und Andromache, diese prachtvollen Menschen: Sie bleiben „Trojaner“. Gute Bürger ihrer mauerbewehrten goldenen Stadt. Weiter sind sie nichts. Das aber ist in der Krise von Leben und Tod zuwenig. Also können sie nur in der Defensive kämpfen und untergehen. Sie, diese Menschen des Friedenswillens, tragen keine Vision einer Zukunft, einer künftigen, größeren, stärkeren, heileren Welt in sich. Die einzige Person, die in die Zukunft schaut, Kassandra, sieht in Wirklichkeit nur die ewige tausendjährige Vergangenheit: den Krieg, die Narrheit und Schwäche des Menschen. Kassandra steht für alle „Propheten“, Dichter, Denker, Theologen unseres Abendlandes, die gerade in den letzten Generationen so völlig versagt afcn TO1 Änd Bi! ei ;unsj5re£

Vei feMheit “inWiM UfidtKr in die Zufctaffl projiziert haben: diese Mythomanen des „Unterganges des Abendlandes“, die es nie wagen, über ihren Schatten zu springen, heute, 1959, wie 1914...

Das ist die politische und metapolitische Bedeutung dieses Bühnenwerks von Jean Giraudoux: Es lädt ein, den Frieden zu bedenken. Der Krieg bricht leicht aus; in jedem Menschen hat er ein geheimes Nest. Der Friede bricht nicht aus — und er läßt sich durch keine Staatsaktion, durch keine Demonstration — wie hier durch den Versuch, die Tore des Tempels des Krieges zu schließen — über Tag, über Nacht schaffen. Der Friede setzt eine lange, schöne, schwere Arbeit voraus; zuerst und zuletzt ein Bedenken des Friedens: als des Bildes einer besseren, heileren, gesünderen Welt. Hektor, der Freund des Friedens, bleibt ohnmächtig und fällt im Krieg, wenn ihm nicht das beste Denken, das reinste Wollen und nicht zuletzt eine gereinigte Religion zu Hilfe kommen. Der Friede ist, so zeigt Giraudoux an, das Geschäft der Zukunft. Dieses Geschäft wird aber erst wirklich in guten Gang kommen, wenn Kassandra und die Dichter es als ihre Aufgabe erkennen werden, nicht den Krieg, sondern den Frieden vorauszusehen: ihn einzubilden, in den tiefsten Kräften des Menschen. Wenn die poetischen Elemente, die Kraft der Einbildungskraft, der Bildkraft der Seele, von dieser Zukunft ergriffen werden, verlieren die alten Zauberbilder ihre Macht. Damit erfüllt die Poesie ihre politische Funktion, die eben darin besteht, neue Bilder heraufzurufen, heraufzubeschwören. Giraudoux selbst ist dies bekanntlich nicht mehr geglückt; er tritt, ein Geschlagener, den Rückweg an: „Sodom und Gomorrha und „Die Irre von Ghaillot" führen in Verzweiflung, Resignation, in ein Zauberreich der Poesie. Um so wichtiger, heute eben dieses Schauspiel aufzuführen; „Der Trojanische Krieg findet nicht statt. .Hier steht der Dichter an der Schwelle zum Tor des Friedens; der vorbedacht, vorgespielt werden muß in tausend Modellen, Experimenten, Schauspielen, soll er i n den Menschen zu einer wirklichen Großmacht werden und nicht, wie hier im Spiele Giraudoux’ und auf der heutigen Bühne der Weltpolitik, in einer Episode als ein kranker, schwächlicher Knabe über die Bühne huschen und an Helena, seine Mörderin, den Ruf richten: „Zu Hilfe, Helena, steh mir beil"

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