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Polnische Avantgarde von 1929

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Jahrzehnte vor der Avantgarde der Beckett und Ionesco schrieb bereits der Pole Stanislaw Ignacy Witkiewicz, der im Jahr 1939, einen Tag nachdem außer den deutschen auch sowjetische Truppen in Polen eingefallen waren, Selbstmord beging, „absurde” Dramen. Er war auch Romanautor, Maler und Philosoph; eine Gruppe von avantgardistischen Malern und Schriftstellern gründete er unter dem Titel „For- misten”. Seit 1956 wird er in seiner Heimat immer wieder gespielt, aber nicht einmal Martin Esslin erwähnt ihn in seinem Buch über das absurde Theater. Die erste deutschsprachige Aufführung eines seiner 36 Stücke fand vor zwei Jahren in Wien im Ateliertheater statt.

Das Drama dürfe keinen Inhalt haben, forderte Witkiewicz, es solle „reine Form” bieten wie die Musik. Also keine Handlung, ein Gehalt, der sich in der Form manifestiert. Ist das bei dem im Jahr 1929 entstandenen Stück „Die Pragmatiker” der Fall? Die Form entspricht da dem inneren der Figuren, sie ist fast ein Widerspruch in sich — chaotisch, denn die fünf Personen, Pla- fodor, seine stumme Geliebte Ma- malia, ein Graf, eine „Mumie” genannte Prinzessin aus Saigon, ein geschlechtsloses Wesen Feminikon, leben in einem Chaos, in unterschiedlichen Spannungen zur Wirklichkeit, die Plafodor und der Graf in philosophischem Pragmatismus zu bewältigen versuchen oder daran verzweifeln.

Hier wird das Dasein der Ohnmacht und scheinbaren Macht des Menschen gespiegelt, Erschöpfung, Lebensüberdruß und auftrumpfende Kraft ist da, die giftige Leere und die bedrohliche Fülle, die Gier nach dem Außergewöhnlichen und dem Unbekannten, die Gefährdung durch Sehnsüchte und Abenteuer des Geistes. Witkiewicz stößt hektisch, ungebärdig an die Grenzen der menschlichen Vorstellungskraft vor, vereinzelte surrealistische Züge zeigen sich, aber nicht sie sind entscheidend für das Stück, sondern die Tatsache, daß es hier bereits um das Existentielle des Daseins geht, wie später bei Beckett und Ionesco. Am Schluß will sich der Graf einem neuen Leben zuwenden.

Renee Heimes rückt das Stück, entgegen den Angaben des Autors, berechtigt ins Abstrakte. Die Szenen werden vor einer silbrig glitzernden Wand von Werner Rest vorgeführt, auf der gelegentlich farbige Lichtspiele erscheinen. Die fünf Darsteller — Walter Gellert und Oliver Forster, Traute Furthner, Gerty Reith und Ursula Silier — sind mit merkbarem Eifer bemüht, das nicht leicht verständliche Stück den Zuschauern nahezubringen.

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