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Ubuismus

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KÖNIG UBV, UBU HAHNREI, VBU IN KETTEN. Komödien von Alfred Jarry. Aus dem Französischen von Marlies und Paul Partner. 156 Seiten, broschiert. Verlag Carl Hanser, München. DM 7.80.

Der Ahnenkult des Surrealismus hat wieder einen Vorläufer, Erfinder und Pionier für den deutschen Sprachraum entdeckt. Alfred Jarry, 1873 bis 1907, schrieb 1891 sein Stück „Ubu Roi“ als Umarbeitung eines szenischen Ulks, den ein Mitschüler über einen monströsen Physikprofessor verfaßt hatte. 1896 wurde die Komödie im Pariser Theatre del'Oeuvre uraufgeführt. Der Erfolg bestand in einem Skandal. Das Stück wurde sogleich abgesetzt. 1898 erschien es als Marionettenspiel im Theatre des Pantins. Jarry arbeitete sein Ubu-Stück mehrmals um, dichtete weitere Ubu-Episoden dazu und wurde schließlich mit seinen Ubus nebst der von ihm erdachten Roman-flgur des Dr. Faustroll einschlägig berühmt. 1959 inszenierten die Münchner Kammerspiele und die „neue bühne“ Frankfurt den Ubu in einer Fassung von Jean Vilar. 1962 gab Maurice Saillet eine Zusammenstellung sämtlicher Ubu-Texte in der Reihe „Le Livre de Poche“ heraus, der die vorliegende Ubersetzung folgt.

Ubu ist die Inkarnation aller negativen Eigenschaften des bornierten, bürgerlichen Spießers: feig und aggressiv, dumm und größenwahnsinnig, kontaktlos und superpotent. Natürlich ist diese Figur die puber-täre Synthese angestauter Vorurteile wider das Establishment, das Fanal eines gewaltigen Ödipuskomplexes. Die ganze Auflehnung gegen die Verlogenheit einer Autorität, wie sie sich der Jugend vor der Jahrhundertwende darbot — und im Wandel immer wieder darbietet — gewinnt mit Ubu ekelerregende Gestalt.

Der Generationskonflikt ist an und für sich nicht neu oder modern. Was sich bei Jarry ankündigt und ihn heute aktuell macht, das ist der Einsatz literarischer Mittel, von denen die Gegenwart glaubt, sie seien absolut das Letzte, Ordinärste und Schockierendste, was je auf die Bühne gebracht wurde. An verbalen Kraftakten wiegt dieser Alfred Jarry ein ganzes Dutzend heutiger Schimpfdramatiker auf. An derbem Witz, surrealer Überraschung und handfester Blasphemie mangelt es ihm nie.

Die dramatische Technik borgte er sich vom Besten. Er beschwört ihn gleich im Motto unverhohlen: William Shakespeare. Unter einem solchen Leitstern geraten die Szenen prallvoll mit Leben, das Unwahrscheinlichste wird spielend möglich. Der wildgewordene Popanz beherrscht die Welt.

Die Hypertrophie der Macht, das Thema Franz Kafkas, wahrzunehmen, ist im Grunde eine Gabe, die nur den sensiblen Naturen gegeben ist. Man darf auch hinter dem Ubu-Wust einen empfindsamen Menschen vermuten. Untersuchungen, Bühnenfassungen und Aufführungen der Ubu-Stücke von Alfred Jarry sollten darauf Bedacht nehmen, daß der Klamauk nur vordergründige Tarnung ist.

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