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Entfesselte Phantasie

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Alfred Jarrys (1873 bis 1907) Meister- und Musterstück „König Ubu“ ist als großes Ereignis in die französische Theatergeschichte eingegangen. Darin wird das Absurde von heute mit dem Absurd-grotesken von gestern konfrontiert. Jarry wollte das Theater von der Clownerie her erneuern. Sein „Ubu“ ist ein ungeheuerlicher Hanswurst, ein wahrhafter Gargantua an Gemeinheit, Feigheit, Duckmäuserei, Faulheit und Grausamkeit. In unersättlicher Gier verschlingt er alles, was ihm über den Weg läuft, zertritt er alles, was ihn stören könnte. Mit dem Fassungsvermögen bestenfalls eines Kneipenwdrten, macht er sich zum „König von Polen“, spielt den Tyrannen und hat nun nichts anderes zu tun, als zu strafen und zu vernichten: die Adeligen, die Minister und die Geistlichen, die Bürokraten, die Finanzleute, die Polizei, die Poeten wie die Journalisten. Gestürzt, begibt er sich freiwillig in die Knechtschaft („denn die Freien sind Sklaven und nur der Sklave ist frei“). Dieser unmenschliche Schmutzfink ist dazu bestimmt, die menschliche Heuchelei und Tyrannei zu entlarven. „Ubu roi“ ist die Parabel von der „clownesken Weltherrschaft“ des zum Ungeheuer sich auswachsenden dämonischen Kleinbürgers. Bei der Uraufführung (1896) ging es den Franzosen und überhaupt den Europäern noch gut, weshalb sie sich bei Jarry sehr gelangweilit haben. Inzwischen haben wir die plumpe Denkmethode der „Ubus“ am eigenen Leib erlebt: wir wissen, daß die Welt so entarten kann... Das Prager Theater am Geländer spielte (als Gast im Theater an der Wien) in geschickter

Bearbeitung „Körnig Ubu“ und den zweiten Teil „Ubu in Ketten“. Der tobsüchtige, machtlüsterne, mordgierige Spießer wird zum Uber-Schwejk, das Stück zum Spiegel einer autoritären Herrschaft, das beim Prager Publikum weit stärkere Assoziationen erwecken muß als in Wien, wo man sich vor allem an einer großartigen Aufführung erfreuen konnte. Regisseur Jon Gross-man und die ausgezeichneten Schauspieler, Pantomimen, Tänzer, Akrobaten in einem, wurden stürmisch gefeiert.

Weniger erfreulich war das zweite Gastspiel im Theater an der Wien. Ein Schweizer Ensemble führte das Stück „Mr. Brown steigt herab“ von Peter Howard auf. Howard seinerzeit ein bekannter Leitartikler Englands, hatte sich als vermeintlicher Dramatiker ganz in den Dienst der „Moralischen Aufrüstung“ von Caux gestellt. Mister Brown soll Christus sein, der unerkannt-erkannt wieder unter die Menschen tritt, um ihnen „die Wahrheit“ zu offenbaren. Sein Leidensweg führt durch verschiedene Stationen in moderner Gleichnisgestalt. Der gute Wille der Bewegung von Caux und des Autors steht außer Zweifel, doch klingen ihre Thesen über Rassenhaß, Geschlechterliebe bis zur scharfen Kritik an der anglikanischen Kirche doch reichlich naiv, streift die dramatische Gestaltung hart das Dilettantische, über das nur die gute Darstellung des öfteren hinweghören ließ. Freundlicher Beifall eines auffallend stark von Uniformierten durchsetzten Publikums.

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