Lass uns streiten - © Foto: Rainer Messerklinger

Geschenkewahnsinn boykottieren? Nein!

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Weihnachten ganz ohne Packerl? Die FURCHE-Redakteurinnen Brigitte Quint und Manuela Tomic streiten dieses Mal über den Ritus des Schenkens.

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Weihnachten ganz ohne Packerl? Die FURCHE-Redakteurinnen Brigitte Quint und Manuela Tomic streiten dieses Mal über den Ritus des Schenkens.

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Es vergeht keine Vorweihnachtszeit, ohne die Kritik an der Konsumgesellschaft. Die einen verzichten ganz aufs Schenken, die anderen beglücken ihre Liebsten mit Zeit, die ja im Endeffekt auch ein Geschenk ist. Jedenfalls darf man Kapitalismuskritik nicht mit der Kritik des Schenkens selbst verwechseln. Denn das Ritual des Schenkens ist so alt wie die Menschheit selbst.

Im antiken Griechenland etwa wollte man die Götter mit Geschenken besänftigen und hoffte auf Macht, Ernte und Glück. Im Mittelalter wurden zu Weihnachten die Armen beschenkt. Mit der „Entdeckung“ der Kindheit im 16. und 17. Jahrhundert, gelangten die Kleinen, wie der französische Historiker und Annales-Schüler Philippe Ariès schreibt, auch ins Zentrum des Schenkrituals. Niemand aber beschreibt den kulturellen Sinn des Schenkens so gut wie der französische Ethnologe Claude Lévi-Strauss in seinem Essay „Der gemarterte Weihnachtsmann“.

„Der Weihnachtsmann ist die Gottheit einer Altersklasse unserer Gesellschaft, und der einzige Unterschied zwischen dem Weihnachtsmann und einer wirklichen Gottheit besteht darin, dass die Erwachsenen nicht an ihn glauben, obwohl sie ihre Kinder ermuntern, es zu tun.“

Wer also an den Weihnachtsmann glaubt, muss noch ein Kind sein, Erwachsenen ist dieser Zauber verwehrt. Doch so etwas wie den Weihnachtsmann gibt es auch in indigenen Kulturen, wo kostümierte Gestalten, Kinder heimsuchen. Die Geschenke an die Kinder werden da wie dort also wieder zu Geschenken an die Götter. So markieren Kinder nicht nur die Grenze zwischen Mythos und Logos, sondern auch jene zwischen Leben und Tod. Kinder werden zum Tor zur Unendlichkeit. Wenn wir Weihnachten feiern, verbinden wir uns durch den Ritus des Schenkens mit den geliebten Verstorbenen, so Lévi-Strauss. Schenken ist jedenfalls so viel mehr als die reine Lust am Konsum und hat auch einen einfachen Sinn. Wenn wir uns in die Wünsche eines Anderen hineindenken, befassen wir uns automatisch weniger mit unseren Problemen. Wer weniger um sich selbst kreist, wird mit Zuversicht belohnt. Auch das spendet Trost. Der Geschenkewahn kann also ruhig kommen.

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