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Armer, alter Mann

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Der große Intellektuelle, der Moralist und Philosoph hat nicht gegen die Ungleichheit protestiert, die Tausende von Häftlingen, überall in der Welt, zu einem intellektuellen Vegetieren, zum Verlust jeder Selbständigkeit, zum Verarmen der Gefühle, zur psychischen Deformation verurteilt, weil die menschliche Justiz so ist wie sie ist, er hat nicht gegen das Mißverhältnis protestiert, das dort gegeben ist, wo „bessere“ Häftlinge auch besser behandelt werden — weil sie Intellektuelle sind, weil die Welt an ihrem Schicksal Anteil nimmt. Er hat nicht gegen das Mißverhältnis protestiert, daß ein gewöhnlicher Häftling kaum eine unzensierte Tageszeitung zu Gesicht bekommt, eine Gudrun Ensslin hingegen eine Bücherzelle neben ihrer eigenen Zelle, in der ihre 500 Bände, die ihr zugestanden wurden, nun einmal keinen Platz haben. Und auch Baader selbst und Raspe, von all den anderen Baader- Meinhof-Mitgliedern in Haft zu schweigen, keiner von ihnen sagte: „Uns geht es zu gut, den anderen Häftlingen geht es zu schlecht.“

Ganz im Gegenteil. Der arme, alte Mann Sartre durfte Baader besuchen, und Baader samt Anwälten haben ihm einen schönen Bären aufgebunden. Den Bären von der Folter. Und der arme, alte Mann Sartre hat es in einer Pressekonferenz nachgeplappert. Wie eingelemt.

Immerhin kann er noch dichten. Er fand für die psychische Folter, die an Baader, Meinhof und so weiter vollzogen wird, schöne Worte. Sprach von kahlen Zellen, von 24-Stunden-Beleuchtung, von tiefster Isolation. Die Journalisten, die wußten, daß in Baaders Zelle Bücher und Landkarten, Radio und Schreibmaschine vorhanden sind, lauschten ergriffen. Denn immerhin: Ein Dichter sprach zu ihnen.

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