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Nach den Bomben bleiben Feinde

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In Frankfurt knallten Schüsse, in Stuttgart blieb der Bombenknall aus — innerhalb weniger Tage wurden Andreas Baader, Gudrun Ensslin und Ulrike Meinhof gefaßt. Das sprichwörtliche Aufatmen geht durch die Bundesrepublik, die nun hoffen kann, daß der Bombenterror der Anarchisten vorerst ein Ende gefunden hat. Aber als gelte es wieder einmal, alle Klischees über teutonische Gründlichkeit und Gigantomanie zu bestätigen, wird aus dem Aufatmen gleich ein Aufschrei.

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In Frankfurt knallten Schüsse, in Stuttgart blieb der Bombenknall aus — innerhalb weniger Tage wurden Andreas Baader, Gudrun Ensslin und Ulrike Meinhof gefaßt. Das sprichwörtliche Aufatmen geht durch die Bundesrepublik, die nun hoffen kann, daß der Bombenterror der Anarchisten vorerst ein Ende gefunden hat. Aber als gelte es wieder einmal, alle Klischees über teutonische Gründlichkeit und Gigantomanie zu bestätigen, wird aus dem Aufatmen gleich ein Aufschrei.

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Die Rechten beschimpfen alles, was links von ihnen steht, weil sie das Entstehen der Baader-Meinhof-Gruppe gefördert hätten. Die Linken wiederum werfen ihren Gegnern vor, für jene Zustände verantwortlich zu sein, gegen welche die Terroristen mit ihren mörderischen Aktionen protestieren wollten. Jeder versucht auf seine Weise, Kapital aus dem Bankrott der Baader-Meinhof zu schlagen.

Am unangefochtesten kann dies noch Innenminister Genscher tun, dessen Sicherheitskräften nach langen, ebenso aufwendigen wie erfolglosen Fahndungen zuletzt doch die Zertrümmerung des „harten Kerns“ der Gruppe gelungen ist. Genscher und mit ihm seine Partei, die FDP, aber auch die gesamte Regierung, können diesen Erfolg brauchen. Der Minister persönlich, weil ihm damit endlich wieder einmal gelungen ist, was ihm trotz nahezu manischer Publicitysucht nur selten möglich ist, nämlich ins Bewußtsein der Bevölkerung zu dringen. Die FDP, ohnedies in ihrer Partnerschaft mit der SPD ständig unter Profilneurose leidend, kann sich nun als Partei der Sicherheit darstellen, wovon sie sich für einen möglicherweise recht bald beginnenden Wahlkampf einiges verspricht. Die Regierung überhaupt kann an Hand des Erfolges im Kampf gegen den Terrorismus zeigen, daß der Kampf um die Ostverträge nicht ihre ganze Kraft aufgezehrt hat.

Der Erfolg an der Ordnungsfront ist um so wichtiger, als er in eine trotz Ostverträgeabschluß für die Regierung unerfreuliche Situation fällt. Ihre Mehrheit im Bundestag ist dahin, die Finanzpolitik wird zum Krisenfall, bei der Berlin-Regelung gibt es durch die Verweigerung der sofortigen Erteilung von Einreiseerlaubnissen durch die DDR Schwierigkeiten. Ein halbnackter Baader in Polizeigewahrsam kann hier über manche Blöße der sozial-liberalen Koalition hinweghelfen.

Die Opposition wiederum versucht, gerade auf Grund der Entwicklung der Baader-Meinhof-Gruppe und des langen Ausbleibens des Polizeierfolgs, der Regierung und ihr nahestehenden Kräften eine Schlappe beizubringen. Zwar ist der Erfolg der Polizei nicht wegzuleugnen, doch, so wird von der Opposition argumentiert, man hätte es erst gar nicht so weit kommen lassen dürfen. Der von Springer erhobene Ruf nach „mehr Staat“ ist nicht ohne Echo verhallt.

Aber während der Schützenwagen der Polizei noch den Schauplatz des „letzten Gefechts“ mit den Anarchisten verließ, luden die Ideologen und Publizisten auf beiden Seiten ihre verbalen Waffen. Wo Nüchternheit am Platz wäre, herrscht nun Aufgeregtheit, und wenn Baader-Meinhof nichts gelungen ist — eine rapide Verschlechterung des ideologischen Klimas haben sie erreicht.

Wer nur je ein Wort des Verständnisses für Baader-Meinhof gesprochen oder geschrieben hat, sieht sich dem Verdacht ausgesetzt, eine jener rund 90 Personen zu sein, gegen die Ermittlung wegen des Verdachts der Unterstützung der Polit-Kriminellen eingeleitet worden ist. Wer aber erst einmal in diesen Verdacht geraten ist, der ist bei der gegenwärtigen Aufgeputschtheit der Gemüter auch schon schuldig gesprochen. Wie dünn die Schicht des Rechtsbewußtseins in der Bundesrepublik noch immer ist, wird in einem solchen Krisenfall deutlich. Rufe wie „Rübe ab!“ und „Wozu noch Prozesse auf unsere Kosten?“ sind in der Bevölkerung wieder Redewendungen geworden.

Die äußerste Linke ist durch ihre bombenlegenden Linksableger erst recht in die Krise gerutscht. Die Bomben der Anarchisten haben in erster Linie diesen Gruppen links von der SPD geschadet. Wollen sie überleben, so müssen sie sich distanzieren: „Wir haben mit den Bombenlegern nicht die geringste Gemeinsamkeit“, hieß es denn auch auf einem Angela-Davis-Kongreß in Frankfurt mit Marcuse und anderen Linksprominenten.

Bedenklich freilich ist, daß auch demokratische Gruppen wie SPD und Gewerkschaften und Liberale in der Hitze des als Sympathisanten von Baader-Meinhof bezeichnet werden und auf der anderen Seite jeder, der sich auf Grund der jüngsten Vorfälle für eine Stärkung der inneren Sicherheit in der Bundesrepublik einsetzt, als „Law-and-order“-Fanatiker denunmancher ziert wird. Damit könnten als Folge Gefechts des glücklich überstandenen Bombenwirbels Feindbilder des politischen Gegners entstehen, die in einem Wahlkampf zu einer erschreckenden Härte der Auseinandersetzungen führen müßten, was erst recht wieder in gewalttätigen Auseinandersetzungen enden könnte.

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