Nicht einen einzigen Schuss ausgelassen

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Bernd Eichingers Film "Der Baader Meinhof Komplex" ist ein letzter Paukenschlag der Erinnerung an 1968.

Der Beginn: "Mercedes Benz", jener Kultsong der späten Sechziger, bei dem die Sängerin Janis Joplin das Auto des deutschen Großbürgers besingt - unter anderem mit der Zeile: "My friends all drive Porsche …"

Das (Groß-)Bürgertum und dessen Gemeinwesen waren sein größter Feind. Aber mit einem Porsche durch Stadt und Land zu rasen, auch wenn er solches Vehikel vorher stehlen musste, war eine Lieblingsbeschäftigung von Andreas Baader - gestorben, wie feststeht, durch eigene Hand am 18. Oktober 1977 in Stuttgart-Stammheim. Einer der größten Verbrecher Nachkriegsdeutschlands.

Und das Film-Ende: "Blowin' in the Wind". Der Bob Dylan-Song prägte die widerständige Jugend, deren Verästelung auch in jener Sackgasse endete, die als RAF-Terror in die Geschichte einging.

Schon wochenlanger Hype

Mit dem Film "Der Baader Meinhof Komplex" liefert Produzent Bernd Eichinger den heuer vermutlich letzten Erinnerungs-Paukenschlag an die 68er Generation. Eichinger, als Geschichts-Verfilmer nicht mit allerbester Reputation bedacht - man denke an seinen unsäglichen Hitler-Endbericht "Der Untergang" -, hat einmal mehr geklotzt: Mit 20 Millionen Euro Kosten firmiert "Der Baader Meinhof Komplex" als teuerster deutscher Film aller Zeiten. Statistenheer (6300 Mitwirkende!) und Staraufgebot erinnern an Zeitgeschichteschinken wie den legendären "Längsten Tag" über die Alliierten-Landung in der Normandie.

Ein Hype, der seit Wochen das deutschsprachige Feuilleton zu vorauseilender Anerkennung wie zu vorsorglicher Besorgnis anstachelt: "Die schlimmsten Feinde des Menschengeschlechts, Hitler an erster Stelle, hatten die unbegreifliche Liebe der Menschen auf ihrer Seite, sie wurden herbeigewünscht, nicht gefürchtet, und ihre Taten verübten sie oft mit der grenzenlosen Liebe ihrer Anhänger, die noch schlimmere Taten rechtfertigten." So weit versteigt sich Frank Schirrmacher in der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung: Diese Pathologie zu verstehen, dafür biete der Film eine Chance, und: ",Der Baader Meinhof Komplex' ist ein Film über die Liebe."

Der ehemalige liberale Innenminister Gerhart Baum wirft dem Film in einem Beitrag für die Zeit hingegen vor, Action statt Zeitumstände zu zeigen: "Es wird viel geschossen in diesem Film. Mitunter entsteht der Eindruck, die Republik habe sich tatsächlich im Kriegszustand mit etwa 30 Terroristen befunden." Des Ex-Ministers Fazit: "Die RAF-Zeit ist in Wahrheit ein komplexes und schwer vermittelbares Stück Zeitgeschichte … Sie ist nach wie vor eine offene Wunde."

Solche Diagnose mag ein Hinweis darauf sein, warum dieser Film die deutsche Befindlichkeit aufs Neue aufwühlt. Immerhin erreichten einige, die zum Vorfeld der Terroristen gezählt worden waren, später politische Prominenz: Otto Schily, Innenminister der rot-grünen Regierung zwischen 1998 und 2005 und - welch Treppenwitz der Geschichte! - Proponent der Antiterrorgesetze im Gefolge von 9/11, war der Strafverteidiger von Gudrun Ensslin; und Hans-Christian Ströbele, heute grüner Bundestagsabgeordneter, hatte Andreas Baader verteidigt.

Ein Täter-, kein Opfer-Film

"Ein Täterfilm" - so qualifizierte Clais Baron von Mirbach das Opus bei der sonntäglichen ARD-Talkrunde von Annette Will: Die Gegenspieler der Terroristen auf staatlicher Seite würden völlig fehlen, die Opfer würden als "Schießbudenfiguren" vorgeführt. Mirbach ist der Sohn des deutschen Militärattachés, der 1975 beim Überfall der RAF auf die deutsche Botschaft in Stockholm kaltblütig ermordet wurde. Im Film ist dieser Mord zu einer wenige Sekunden langen Affekthandlung geschrumpft - nicht ansatzweise als jene einstündige Verhandlungsqual der Terroristen mit der schwedischen Polizei dargestellt, an deren Ende Mirbach niedergeschossen dalag und dann eine weitere Stunde lang hilflos verblutete.

Solch auch bei Anne Will diskutiertes Beispiel zeigt, wie schwer es ist, diese Geschichte des Tötens so zu erzählen, wie sie tatsächlich war: Ein Medium wie dieser Film lebt von seiner Auseinandersetzung mit den Tätern, einmal mehr redet er kaum von den Opfern, er zeigt bloß die Brutalität, mit der die Terroristen vorgingen. Bernd Eichinger, von dem auch das Drehbuch stammt, lässt keinen einzigen Schuss aus. Und um die Unerträglichkeit des Geschehens auf der Leinwand zu steigern, helfen er und Regisseur Uli Edel den Dramen schon auch einmal nach: Der Mordanschlag eines Rechtsradikalen auf den linken Studentenführer Rudi Dutschke - 1968 eines der Schlüsselerlebnisse für die späteren RAF-ler - liest sich in Stefan Austs Buch "Der Baader Meinhof Komplex" in den Details wesentlich weniger spektakulär, als es im Film gezeigt wird.

Der Streifen ist ja die Verfilmung des gleichnamigen Buchs von Stefan Aust, das - akribisch zusammengetragen und journalistisch großartig aufbereitet - zehn Jahre Werden, Scheitern und Ende der Roten Armee Fraktion dokumentiert. Gemessen am Buch scheitert der Film, denn die fast 900 Seiten kommen nur versatzstückhaft zur Geltung. Das Buch offenbart nicht nur die Spirale der Gewalt, in der sich Andreas Baader, Ulrike Meinhof, Gudrun Ensslin & Co verlieren, sondern auch eine, nicht vergleichbar brutale, aber doch problematische Gewaltspirale, auf der sich auch der Staat bewegt. Die Kinofassung bleibt diese Differenzierung weitgehend schuldig.

Ein Abspielen komprimierter zeitgeschichtlicher Szenen ist es geworden, ein Historiendrama des 20. Jahrhunderts mit viel Action-Brutalität. Wobei aus der Hundertschaft prominenter Schauspieler die Darstellungen der Gudrun Ensslin (Johanna Wokalek) und der Ulrike Meinhof (Martina Gedeck) hervorstechen, in denen ahnungsvolle Momentaufnahmen schillernder, aber tief gebrochener Persönlichkeiten aufblitzen. Dem entgegen entkommt Moritz Bleibtreu als Andreas Baader der Künstlichkeit eines brutalen jungen Wilden nur schwer. Auch Bruno Ganz mimt als Chef des Bundeskriminalamts, Horst Herold, eine seltsam ungreifbare Figur.

Rudimente der Geschichte

Bleibt der aufklärerische Gestus, dem sich dieser Spielfilm auch verschrieben hat: Zweieinhalb Stunden arg komprimierter Aneinanderreihung in sich komplexer Vorgänge zu einem zeitgeschichtlichen Bogen sind ein mutiges Unterfangen; wer einmal Rudimente von RAF-Werdung und -Untergang erkunden will, wird hier bedient. Immerhin versuchen Eichinger und Regisseur Edel niemals, den RAF-Mythen Raum zu lassen: Dass Andreas Baader, Gudrun Ensslin und Jan-Carl Raspe in ihren Zellen des Hochsicherheitsgefängnisses Selbstmord begangen haben, wird nie in Zweifel gezogen: "Hört auf, sie so zu sehen, wie sie nicht waren." Mit diesem Satz macht die RAF-lerin Brigitte Mohnhaupt klar, dass es für eine Legende, der Staat habe die drei in Stammheim ermorden lassen, keinen Grund gibt. Das ist gut so.

Vielleicht weckt der verfilmte "Baader Meinhof Komplex" aber vor allem Interesse aufs anstrengende Buch von Stefan Aust. Eine lesenswerte Lektüre, durch die zehn Jahre deutscher Nachkriegsgeschichte ein wenig näher kommen könnten - auch den Österreichern, die doch nur Zaungäste dieser Entwicklung waren.

DER BAADER MEINHOF KOMPLEX

D 2008. Regie: Uli Edel. Produktion & Drehbuch: Bernd Eichinger. Mit Martina Gedeck, Johanna Wokalek, Moritz Bleibtreu. Verleih: Constantin. 150 Min.

DER BAADER MEINHOF KOMPLEX

Von Stefan Aust. Aktualis. u. erw. Ausg. Hoffmann und Campe, Hamburg 2008. 894 Seiten, 150 Fotos, geb., € 26,80

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