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Vorsicht, Märtyrerin in Sicht!

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ICH finde, daß jeder Legen-denbildung im Zusammenhang mit dem Tod der deutschen Anarcbistin Ulrike Meinhof so schnell wie möglieh ein massiver Riegel vorgeschoben werden sollte. Was hier versäumt wird, kann sich innerhalb kürzester Zeit blutig rächen.

Denn die Brutalität der Ausschreibungen in der Frankfurter Innenstadt, aber auch die Sinnlosigkeit der Brandlegung in einem deutschen Kulturinstitut im Ausland, halben doch hinlänglich bewiesen, daß noch immer ein Rest von Baader-Meinhof-Sympathisanten existiert, die weder zur Vernunft (sprich: zur Erkenntnis, daß die Brachialgewalt keinem wie immer gearteten Ziel näherbringt) noch durch Eintritt ins Berufsleben inaktiviert oder auch nur so stark' zusammengeschmol-

zen sind, daß mit Wahnsinnsakten von dieser Seite nicht mehr gerechnet werden müßte. Das so oft im Zusammenhang mit dem Nationalsozialismus zitierte Wort „Der Schoß ist fruchtbar noch, aus dem das kroch“ — es gilt auch hier.

Hier, das heißt: Für eine Kombination wirklichkeitsfremder, aber in sich geschlossener anarchistischer Theorien und antihumaner Gewalttätigkeit. Die Geschichte des Baader-Mein-hof'schen Neo-Anarchismus ist vor allem die Geschichte vom schrittweisen Abbau letzter Tötungshemmungen. Vergessen wir nicht: Einen dieser Schritte von der Politik zum Mord markiert ein Wort, das Ulrike Meinhof in einem Interview ausgesprochen hat: „Natürlich kann auch geschossen werdein...“ Aber die

Tötungshemmung fiel keineswegs den sogenannten „Bedingungen des revolutionären Kampfes“ zum Opfer, sondern den Konkurrenzkämpfen um die Führung und dem Ersatz von Argumenten durch groteske pseudointellektuelle Solidarigierungsrituale.

Was die Krankheitsgeschichte des gegenwärtigen Linksradikalismus von seinen Ursprüngen im vorigen Jahrhundert am auffallendsten unterscheidet, ist das Verkommen de/ Ideologie zur Phrase, ist der totale Ersatz der Theorie durch die Aggression mit zunehmender Isolierung von der Gesellschaft. Und den letzten Schritt zum hemmungslosen und undifferenzierten Terror markierte seinerzeit der Ubergang der Führungsrolle im Anarcho-Untergrund auf den primitiven, grobschlächtigen, herrschsüchtigen, aber auch äußerst intelligenten und durchsetzungsfähigen Andreas Baader. Daß die Desperados dessen Führungsrolle akzeptierten, ist ein Zeichen für ihren intellektuellen und moralischen Zustand. Ein von politischen Wir-kungsmöglichkeiten abgeschnittener Lenin dachte und schrieb. Baader, Meinhof und so weiter schwelgten in Fäkalinjurien und warfen Bomben. Gegen Lenin konnte (und kann) man argumentieren. Sie haben sich der verhaß-

ten Welt auch sprachlich entzogen.

Der Selbstmord der Ulrike Meinhof war im Grund ein logischer Schritt. Sicher eine Verzweiflungstat, aber er war auch zumindest potentiell eine letzte politische Handlung, und Ulrike Meinhof selbst wird ihn wohl auch so begriffen haben. Denn wenn es noch einen harten Kern der anarchistischen Bewegung in Freiheit gibt, und daran ist kaum zu zweifeln, dann hat er jetzt, was er brauchte: eine Märtyrergestalt. Alles, was sich bisher für diese Rolle anbot, war blasser Ersatz, waren Randfiguren.

Was sich heute noch an potentiellen Gangsterchefs und Möchtegern-Baaders in der Anarcho-Szene tummelt, wird diese Chance zu nützen wissen. Andreas Baader und die Anwälte der Anarchisten, deren Gefährlichkeit als Schaltstellen und Kristallisations-punkte neuer anarchistischer Konstellationen man keinesfalls unterschätzen darf, werden alles tun, um Ulrike Meinhof zum Opfer der Justiz und zur Heiligen des Anarchismus umzulügen. Diese Saat fällt sicher auf fruchtbaren Boden

Die deutsahe Justiz sollte die Gefahr nicht unterschätzen. Le-gendenbildiungen vollziehen sich gerade im Zeitalter der Massenmedien rasend schnell, und die

besonders gefährliche Legende, Ulrike Meinhof halbe gar nicht Selbstmord begangen, sondern sei umgebracht worden, wird sich mit Windeseile verbreiten und allen Handlungsreisenden in Terror gute Dienste als selling appeal leisten.

Dem sollte, dem muß entgegengetreten werden. Am besten wäre die sofortige Einberufung einer internationalen Kommission von über jeden Zweifel erhabenen Gerichtsmedizinern gewesen. Respekt vor allen Bedenken, die dagegen vorgebracht werden können, etwa, daß damit ein keineswegs harmloses Präjudiz gesetzt werden könnte. Aber ich meine doch, daß in diesem Fall, bei gewissenhafter Abwägung aller möglichen Vor- und Nachteile, vor allem an die^ Notwendigkeit gedacht werden sollte, der Botschaft der ideologisch verbrämten Gewalt soviel Boden wie nur möglich zu entziehen.

Denn von Denken, gar von politischem Denken, ist im Anarcho-Lager kaum mehr die Rede. Hier hat die Romantik der Gewalt und des Todes das Denken verdrängt. Der Tod der Ulrike Meinhof könnte diesem Untergrund entsprechend prädisponierten Nachwuchs zuführen. Dem gilt es vorzubeugen. Hier wurde möglicherweise Wichtiges versäumt.

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