6888037-1979_35_11.jpg
Digital In Arbeit

Beißender Witz

Werbung
Werbung
Werbung

Auf dem Platz der Kosmonauten in Moskau, dort wo der Marxismus-Leninismus-Prospekt beginnt, wird die Losung „Es lebe der Kommunsimus - die lichte Zukunft der Menschheit!“ errichtet. Es ist eine von jenen Losungen aus dem orthodox-kommunistischen Wortschatz, wie man sie in Osteuropa fast überall findet: geschrieben auf blutigrotem Hintergrund, nichtssagend, die intellektuelle Auseinandersetzung ersetzend.

Alexander Sinowjew, 1978 aus der Sowjetunion ausgebürgerter und jetzt in München lebender Regimekritiker, hat die Errichtung eben dieser nichtsagenden Losung zum Einstieg in sein Buch „Lichte Zukunft“ genommen. Ein banaler Beginn, ist eine solche Sache doch ein mehr oder weniger alltägliches propagandistisches Mätzchen im sowjetischen Alltag.

Das Faszinierende ist, wie Sinowjew die Banalität der Sowjetgesellschaft überhaupt angeht: mit beißendem Witz, mit einer großartigen Sprachbeherrschung, mit einem klaren Sinn für die gesellschaftliche Wirklichkeit in diesem totatlitären System. Was er aus diesen Elementen zusammenmixt, ist mehr als bloß Satire.

Sinowjew hat eine Stilform gefunden, mit der er die sowjetische Gesellschaft bis in kleinste Details analysieren kann, ohne auf eine schwer verständlich soziologische Sprache zurückgreifen zu müssen. Dadurch wird keine Seite dieses Buches langatmig, selbst dort nicht, wo sich eine seiner Figuren, der kritisch zum Regime eingestellte Anton Simin, der nüchternen, analytischen Sprache bedient, um die Mechanismen der Sowjetgesellschaft zu erklären.

Der Autor schafft das, indem er Analyse und Satire ineinanderfließen läßt. Nüchternheit und Humor lösen einander ständig ab. „Lichte Zukunft“ ist eines von jenen Büchern, die in der Bibliothek jedes politisch interessierten Menschen ihren Platz haben.

LICHTE ZUKUNFT. Von Alexander Sinowjew. Diogenes Verlag, Zürich 1979. 464 Seiten, öS 268,60.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung