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Zorniges Lachen

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Im Lichte der Finsternis” — typischer Titel eines der Kapitel des in diesen Tagen im Verlag Piper auf deutsch erscheinenden Buches „Die Diktatur der Logik” des Exilrussen Alexander Sino-wjew: ein Paradoxon als Spielball, mit dem der professionelle Mathematiker und Logiker stets ins Schwarze trifft, wenn es um die Entlarvung der Hohlheiten und Absurditäten geht, die sich in der

Realität und Praxis vor allem der ideologisierten Sprach- und Lebensbereiche ereignen.

Und doch erscheint uns dieser spezifisch Sinowjew'sche Entlarvungsmechanismus eines wirklichen Satirikers immer wieder in neuem literarischen Gewand. Man erinnere sich doch der „Gähnenden Höhen”, der „Lichten Zukunft”, der „Aufzeichnungen eines Nachtwächters” oder der zahlreichen im beliebten russischen Mischgenre zwischen Wissenschaft und Literatur verfaßten Analysen der kommunistischen, insbesonderen der sowjetischen Gesellschaft. Dies ist es auch, was den sowjetischen Wissenschafter und Schriftsteller am meisten interessiert. Wann wird nun eine Analyse der westlichen Gesellschaft und ihrer Phänomene zu erwarten sein?

„Sicher nie”, sagt Sinowjew. „Ich kenne sie zuwenig, nämlich erst seit fünf Jahren, und zudem interessiert sie mich nicht. In der sowjetischen gibt es einfach mehr zu untersuchende Phänomene. Ich bin hier im Westen, um mein Leben zu Ende zu leben, mehr will ich nicht.”

Anders als seinem Antipoden Solschenizyn - die Divergenzen, ja sogar Gegnerschaften lassen sich übrigens unschwer in den literarischen Schlüsselstellen bei den Autoren nachweisen - ist für Sinowjew der Gedanke an eine Rückkehr absurd und ausgeschlossen. Ähnlich wie Solschenizyn lebt und arbeitet, ja schöpft auch er aus seiner sowjetrussischen Vergangenheit - so als könnte er sie solcherart aus sich hinausschreiben und bewältigen. Wie sehr mag nun diese Quelle aller Spannungsmomente als Bezugspunkt hier, im Westen, allmählich versiegen?

„Ich bin in der Sowjetunion aufgewachsen und schöpfe aus meiner erlebten Realität. Ich will noch ein großes, umfangreiches Werk diesem Erlebnisbereich und dem Phänomen der sowjetischen Gesellschaft widmen, in welchem alles enthalten sein soll, was mich bewegt und mir am Herzen liegt. Ich hoffe, daß es mir gegönnt sein wird, es zu beenden.”

Es ist erstaunlich, daß die Ansichten dieses Zynikers, der uns literarisch so respektlos entgegentritt, gewisse — übrigens sehr russische — fatalistische öder gar religiöse Züge zeigt. Und tatsächlich heißt das Buch, das soeben im russischen Original in Paris erschienen ist und dem Autor nach eigener Aussage am teuersten ist, „Evangelium für Iwan”: „Iwan” stellvertretend für sein Land.

Es handelt sich um eine Gedichtsammlung, die, von lyrisch, appellativ formulierten Momentaufnahmen des sowjetrussischen Lebensgefühls ausgehend, immer wieder in Gebete mündet. Es findet sich da ein Morgengebet mit der Bitte um die Erfüllung der Hoffnungen, und ein Abendgebet mit dem Dank für die bloße Existenz.

„Nein, ich weiß nicht, ob ich religiös bin”, sagt Sinowjew. „Ich bin ebenso atheistisch erzogen worden wie wir alle drüben. Aber wie wir alle drüben haben wir auch das Bedürfnis nach Glauben oder nach einer Ideologie. Und es ist immer die Frage, was dann in uns siegt.”

Wie man es von einem so vielseitigen, der Renaissance verpflichteten Menschen erwartet-, ist der Wissenschafter und Schriftsteller auch in einem weiteren Bereich kreativ. Sinowjew malt, und seine surreal-bedrük-kende Bilderwelt wird demnächst in Mailand der Öffentlichkeit vorgestellt. Manches an diesen Bildern zeigt die bedrohlichskurrile Fratze des „Homo sovie-ticus” vor dem Hintergrund einer eisigen und absurden Geisterstadt. Weniger skurril, jedoch bedrückender und bedrohlicher wirken die schwarzen Vögel mit Riesenkrallen, die in unheimlichen Traumlandschaften über zertretenen Lebewesen und Pferdeskeletten sitzen.

„Beide Bereiche, Literatur und Malerei, sind für mich gleichwertig und nur verschiedene Mittel, mich auszudrücken und etwas mitzuteilen”, sagt Sinowjew. Ich kann nicht sagen, daß ich dem einen oder anderen Medium eines Tages den Vorzug einräumen werde.” Zuviel wäre noch zu sagen, und manches brauchte die Form jenes grimmigen und verschmitzten Humors, den Sinowjew in einzigartiger Weise ent-wickel hat — wie es übrigens in der eingangs zitierten Neuerscheinung unschwer nachzuprüfen ist.

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