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Der Prophet im Exil

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„Der Westen ist dabei, seine Seele zu verlieren“, warnte kürzlich der sowjetische Mathematiker, Schriftsteller und Philosoph, Alexander Sinowjew, der seit acht Jahren in München im Exil lebt und schreibt. Die extrem individualistische Lebensweise des Westens sei auf Dauer nicht imstande, der sowjetischen Bedrohung entgegenzutreten. Die Gefahr sei laut Sinowjew nicht so sehr militärischer Art, sondern die Ideologie des sowjetischen Gesellschaftssystems, das eine besondere Faszination für die westeuropäische Linke ausübe.

Von der FURCHE kürzlich in Wien angesprochen, wie sich der Westen rtun konkret gegenüber dem Osten verhalten solle, wollte der russische Philosoph keine konkreten Ratschläge nennen.

Er sehe seine Hauptaufgabe einfach darin, durch seine gründlichen Analysen des sowjetischen Systems dem Westen ein warnendes Bild vor Augen zu halten.

Dem Individualismus des Westens steht das kollektive Denken des Ostens gegenüber, wo der einzelne zwar nichts ist, aber das Kollektiv alles. Das Wesen der sowjetischen Ideologie besteht nach Sinowjew eben nicht in der „Schaffung eines neuen

Glaubens“, sondern gerade darin, daß durch dieses System aus dem Menschen alles „eliminiert wird, was der Glaube in ihn hineinträgt“.

Die im Westen häufig gestellte Frage, warum denn die Millionen Menschen im Osten die Lügen und leeren Versprechungen des Systems nicht endlich satt haben, beantwortet Sinowjew mit dem besonderen Erfolg des Systems. Durch jahrzehntelange Indoktrination ist es gelungen, den Menschen eine umfassend neue Weltsicht einzuflößen, die zur einzigen Orientierung ihres Lebens wurde und ohne die sie nicht mehr leben könnten.

Das Besondere daran ist, daß niemand gezwungen wird, an das System zu glauben, es reicht für den Erfolg des Systems, daß es einfach akzeptiert wird.

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