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EntMcklungskrzse

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Michail Gorbatschow versteht es, spektakuläre Gesten zu setzen: kurz nach der Heimholung Andrej Sacha-rows aus der Verbannung ließ er nun 42 Dissidenten frei.

Die Reformen im Inneren und die Signale, die Gorbatschow dem Westen gibt, sagen freilich wenig über die Ideologie aus, die das kommunistische Riesenreich nach wie vor zusammenhält. Und wenn man sich über das Grundsätzliche dieser Ideologie informieren will, um nicht irgendwelchen Illusionen zu verfallen, dann hält man sich am besten an Leute, die genau wissen, wie das Sowjetsystem funktioniert.

Zum Beispiel der russische Philosoph und Schriftsteller Alexander Sinowjew, der seit seiner Ausweisung aus der UdSSR im Jahre 1977 in München lebt.

Jüngst ist ein neues Buch von ihm erschienen: ,JDie Macht des Unglaubens. Anmerkungen zur Sowjetideologie.“ Sinowjew merkt da unter anderem an, daß es sich bei der Sowjetideologie weniger um eine konkrete Lehre als um ein praktisch funktionierendes System handle, mit dessen Hilfe die Gesellschaft ideologisch organisiert wird: „Die Hauptaufgabe des ideologischen Mechanismus besteht nicht darin, den Menschen die Ideen der Doktrin einzuhämmern, sondern darin, ihnen etwas ganz anderes einzuhämmern, wobei die Doktrin als Hammer dient.“

In diesem Sinn'ist ideologische Bildung nicht sosehr Interpretation der Erscheinungen oder der Realität, sondern vielmehr die Aneignung gewisser Schablonen für die Interpretation dieser Realität.

Sinowjew konstatiert in der Sowjetunion eine ideologische Krise, die sich bei einem künftigen intellektuellen Fortschritt der sowjetischen Bevölkerung noch verstärken werde.

Wenn die Gesellschaft umgestaltet wird, bedeutet das gleichzeitig, daß die Arbeit des Ideologiemechanismus verbessert werden muß.

So sieht der Schriftsteller in der ideologischen Krise eine Entwicklungskrise und keine Verfallserscheinung.

Was Gorbatschow jetzt tut, so könnte man ergänzen, ist der langwierige Versuch einer Uberwindung dieser Krise mit einem Ziel: ,JDen Verstand und das Talent des Volkes in den Dienst der' Ideologie zu stellen.“

Sinowjew beurteilt die Möglichkeit eines Aufschwungs der Ideologie allerdings skeptisch. Nach dem Tod Stalins war die Expansion des ideologischen Apparates die Kompensation für den Abbau des direkten Terrors. Zu ähnlichen Tendenzen könnte es auch künftig kommen: nicht Ideologiereform, sondern nur eine Intensivierung der ideologischen Arbeit.

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