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Wir lassen die Wasser steigen

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„Die Vorstellungen des Westens von der Sowjetunion sind dumm und oberflächlich. Die Sowjetgesellschaft ist sehr stark, sehr stabil und tödlich gefährlich."

So sprach Alexander Sinowjew, Philosoph, Autor, Satiriker, der 22 Jahre lang an der Akademie der Wissenschaften in Moskau gearbeitet hatte, ehe man seine Arbeiten für „völlig wertlos" erklärte und der unbequeme Kritiker 1978 nach Deutschland auswandern durfte.

Vorige Woche war er in Wien, um vor der Illusion zu warnen, es könne im Sowjetsystem je einen „Sozialismus mit menschlichem Gesicht" geben oder daß „Lieber rot als tot" eine brauchbare Parole wäre: Wenn rot, dann auch tot! -Denn der geistige Tod kann grausamer als der physische sein.

Sagt Sinowjew. Wir aber sagen: „Typisch ein Emigrant." Und warten weiter darauf, daß sich das Problem „von selber löst", auflöst, verflüchtigt, uns zu belästigen aufhört. Denn „man kann ja ohnehin nichts dagegen tun."

Sinowjew sagt: Man kann! „Wenn Wasser in die falsche Richtung fließt, muß man eine Sperre dagegen errichten." Wir aber lassen die Flut steigen. Wenn sie dann einmal irgendwo überschwappt wie jetzt in Polen, übermannt uns Peinlichkeit.

Es ist unschicklich, in „primitiven Antikommunismus" zu verfallen. Führenden Sozialisten des Westens ist diese Peinlichkeit förmlich ins Gesicht geschrieben: Solidarität mit Kerzisch luckern?

Wolf Biermann hat sie dieser Tage bei einer Polen-Solidaritätskundgebung Linker für Linke in Wien kräftig beschämt. Aber die professionellen „Entspanner" im Nadelstreif saßen ohnehin nicht vor ihm.

Was tun? Zum Krieg hetzen? Dreimal nein! Auch die Sowjetunion will, wie Sinowjew betonte, den Krieg nicht. Aber sie bereitet sich auf alles, auch auf diesen, vor. Und sie tut alles, um ohne Krieg den Westen geistig in die Knie zu zwingen.

Deshalb ist „moralischer Widerstand" nötig, forderte auch Sinowjew. Daß sich Atheisten und Opportunisten damit schwertun, sieht man. Umso mehr zählt das Wort derer, die den polnischen Widerstand gegen die Unmenschlichkeit geistig fundierten.

Der Krakauer Theologe Jozef Tischner ist so einer. Eben ist sein Buch „Ethik der Solidarität" auf Deutsch herausgekommen. (Wir zitieren daraus auf dieser Seite.)

„Eine Ethik des Politischen im weitesten Sinn" und „Weiterentwicklung der katholischen Sozialethik, wie sie in Osterreich seit langem fehlt", kommentierte Erhard Busek, der am selben Tag den Vortragenden Sinowjew und das Tischner-Buch präsentierte.

„Vergeßt nicht", rief Tischner letzten September dem Solidar-nosc-Kongreß in Danzig zu, „was immer ihr tut, ihr seid heute das Maß!" Welch ein Segen, daß diese Zumutung nicht an uns erging!

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