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Das Gestern motiviert keinen Soldaten

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Die großen politischen Rahmenbedingungen (Landesverteidigungsplan) für das Bundesheer sind vorhanden. Im kommenden Jahrzehnt gilt es, das eigene Haus in Ordnung zu bringen. Dies ist nicht besonders medienwirksam oder spektakulär, deshalb aber mindestens genauso wichtig wie die großen Reformschritte der letzten Jahre.

Niemand - außer den militärischen Utopisten — kann annehmen, daß das Heer für den weiteren Auf - und Ausbau in den neunziger Jahren wesentlich mehr fi-

nanzielle Mittel zugeteilt erhält. Soll der Aufbau also weitergehen, ist dies nur mit einer „motivierten Freiwilligkeit“ im Engagement unserer Milizsoldaten möglich..

In diesem Wissen und der empirisch gestützten Erkenntnis, daß die Quote der negativ motivierten Präsenzdiener beim Abrüsten größer ist als zum Zeitpunkt ihres Einrückens zum Bundesheer, liegt eine soziale Zeitbombe für ein milizartig strukturiertes Heer.

1982 wurde bereits eine tief grei-; fende Reform auf dem Gebiet der Politischen Bildung im Bundesheer durchgeführt. Die derzeitige militärische Führung wird man in der Zukunft daran messen müssen, ob ihr die Umsetzung der Zielsetzungen der Politischen Bildung gelingt. Die „motivierte Freiwilligkeit“ wird sich im Rahmen eines milizartigen Heeres ohne das „Wissen wofür“ nicht erreichen lassen.

Aufbauend auf der Basis einer guten Politischen Bildung sollte eine zeitgemäße Traditionspflege in den Ausbildungs- und Bildungsbetrieb des Bundesheeres integriert sein.

Aber: mit einer Traditionspflege, wovon Teile des derzeit noch immer gültigen Erlasses aus der Zwischenkriegszeit stammen, lockt man keinen jungen Österreicher, der nur unsere Zweite Republik kennt und schätzt, hinter dem Ofen hervor.

Gerade die jüngste Vergangenheit hat gezeigt, wie überfällig eine Neuregelung der Traditionspflege im Bundesheer wäre.

Die Würde einer bestehenden Traditionspflege ist kein Argument, diese nicht zu ändern oder grundsätzlich zu modifizieren, sobald sich die gesellschaftspolitischen Rahmenbedingungen und die Struktur des Heeres entscheidend geändert haben.

Wie könnte nun heute eine Traditionspflege unseres Bundesheeres aussehen? Zunächst muß die Traditionspflege einen starken Bezug zum Selbstverständnis und den prägenden Dimensionen unseres heutigen Heeres haben.

Das heißt

• unser Heer und der Frieden beziehungsweise künftige reale Abrüstungspolitik sind kein Widerspruch, im Gegenteil: das Gute (den Frieden in Freiheit unter Wahrung der Menschenrechte) zu wollen und das Böse (das Aufzwingen einer nicht gewollten Gesellschaftsordnung, die militärische Besetzung unseres Territoriums) zu bekämpfen beziehungsweise dazu fähig und wülens zu sein, sind kein Widerspruch;

• unser Heer ist ein milizartig strukturiertes Heer eines neutra-

len Staates im Herzen Europas ohne konkretes Feindbild;

• unser heutiges Bundesheer ist kein „Nachfolger“ der deutschen Wehrmacht;

• unser Heer ist ein Teil der Gesellschaft, aus der es sich rekrutiert; dies schließt die Erkenntnis mit ein, daß das Heer nicht „Bewacher und Hüter“ der Werte der Gesellschaft sein kann.

Eine unkritische, ein für allemal festgeschriebene Traditionspflege ist für ein milizartig strukturiertes Heer undenkbar. Traditionspflege sollte zu Vergangenem ebenso Stellung beziehen, wie sie Ziele für die Zukunft vorgibt. Ihre Inhalte immer wieder zu diskutieren, zwingt dazu, uns den eigenen Auftrag (- der einen wesentlichen Beitrag zur Verteidigung unserer demokratischen Gesellschaftsordnung und des Territoriums darstellt -) ständig vor Augen zu halten.

Traditionspflege in unserer Armee sollte klar den Unterschied zwischen „historischem Bewußtsein“ und Tradition herausstreichen.

Die Geschichte der Zweiten Republik - unserer Republik - ist über 40 Jahre alt. Diese Zeit ist weder für unsere Heimat (nur

weil wir nicht in Konflikte und Kriege miteinbezogen waren) noch für unser Heer geschichtslos. Friedenseinsätze, Katastrophenhilfe, Assistenzeinsätze sind der inhaltliche Stoff (Wertbild statt Feindbild!), aus dem wesentliche Teile unserer Traditionspflege gefertigt sein sollten.

Traditionspflege muß den Zielsetzungen der Politischen Bildung angepaßt sein. Dies gilt auch für Grundsätze, Methoden und Materialien.

Eine demokratische Gesellschaftsordnung ist gut beraten, wenn sie in Fragen der militärischen Traditionspflege auf einen breiten Konsens der Mitbürger Rücksicht nimmt. Das Beispiel der Erarbeitung der Politischen Bildung könnte dabei als Vorbild dienen (die Erarbeitung der erlaßmäßigen Regelungen der Politischen Bildung erfolgte durch das Büro für Wehrpolitik gemeinsam mit den politischen Akademien der drei Parlamentsparteien und der Universität Wien/Institut für Politikwissenschaft).

Wenn praktizierte Traditionspflege auch die Zeit vor der Zweiten Republik miteinschließen soll, dann müssen Fragen, die mit dem österreichischen Widerstand gegen das nationalsozialistische Regime zusammenhängen, in klarer, korrekter und fairer Weise Berücksichtigung finden.

Zeitgemäße Traditionspflege baut auf der Politischen Bildung auf. Das eine, die Politische Bildung, ist theoretisch gelöst (die Praxis schaut nicht so rosig aus, wie dies zum Beispiel auch der Jahresbericht zur Politischen Bildung zeigt), das andere, die Traditionspflege, harrt überhaupt noch der Lösung.

Der Autor ist Oberstleutnant und stellvertretender Leiter des Büros für Wehrpolitik im Kabinett des Bundesministers für Landesverteidigung.

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