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Der Leidende

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Als Vierjähriger soll Gustav Mahler, der Sohn des Kaufmanns und „Branntweinschän- kers“ zu Kalischt in Böhmeg schon zweihundert Volkslieder zu singen imstande gewesen sein, und in diesem Alter hatte er auch das Schlüsselerlebnis seines Daseins. Der Vater behandelte die Mutter wieder einmal besonders brutal, das gepeinigte Kind stürzte auf die Straße, und draußen plärrte ein Werkelkasten fröhlich das abgründige Lied vom „lieben Augustin“.

Sein ganzes Leben lang wollte sich Mahler, dessen Todestag sich am 18. Mai zum siebzigsten Mal jährt, im Komponieren davon heilen, sein ganzes Werk durchzieht die Antinomie von tiefstem Gefühl und Banalität, als wollte er das Edle vor dem grellen Hintergrund noch ins Monumentale steigern.

Der nach Bruckner bedeutendste Erbe Beethovenscher Symphonik kam vom Lied her, leistet als weltberühmter Dirigent für die Oper Epochales und schrieb - keine einzige.

Er warf - so Pierre Boulez - in das vornehme Erdreich der Symphonik haufenweise das schlechte Samenkorn der Thea- tralik, fühlte sich nach eigener Aussage als Böhme unter Österreichern, als solcher unter den Deutschen und als Jude in der ganzen Welt dreifach heimatlos, liebte Wien, dessen Oper er vom kulinarischen Musiktheater zum Weltrang erhob.

Geistig stand er auch sonst zwischen Extremen, bewunderte Nietzsche und glaubte mit Dostojewskij an einen mitleidenden und zum Mitleiden aufrufenden Christus.

Glücklich eigentlich nur in seinen „kleinen“ Werken, rang er in neun Symphonien um die innere Harmonie. Das „Scherzo“ der unvollendet gebliebenen „Zehnten“ ist mit „II Purgartorio“ überschrieben: Die Erlösung erreichte er bei Lebzeiten nicht...

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