7066504-1992_06_12.jpg
Digital In Arbeit

Djerassis Doppelleben

Werbung
Werbung
Werbung

Spätestens seit sich Carl Djerassi mit inzwischen vier Büchern auf exzellentem literarischem Niveau zum Liebling des Publikums und mancher anspruchsvoller Kritiker hinaufgeschrieben hat, wird klar: Leser sind ausgehungert nach interessanten Stoffen, nach konkreten menschlichen Problemen, nach origineller Information über wichtiges aktuelles Geschehen und - nach der großen Kunst des Erzählens.

Schon der in Lemberg geborene Stanislaw Lern, der schlau das gewohnte Genre der Literatur umging und ein Meister der „Science fiction" wurde, konnte aufhorchen lassen, gar nicht zu reden von manchen virtuosen und durchaus literarischen Autoren von Kriminalromanen, einer Gattung, die von den gelehrten Fachleuten nie so richtig als Literatur anerkannt wurde.

Der hervorragende Biochemiker Erwin Chargaff, der sozusagen als Pensionistenhobby den eleganten, ebenso polemischen wie philosophischen Essay gewählt hatte, ging den leichteren Weg: er verarbeitete seine einschlägigen Erfahrungen der weltbestimmenden Wissenschaft in einem der Forschung eher nahestehenden Stil. Mit der Doppelhelix (schraubenförmige Molekularstruktur), die er entdeckt hatte, und den tiefen Einblicken hinter die Kulissen des Wissenschaftsbetriebes verquickte er in funkelndem sprachlichem Schliff die schärfste Kritik an dieser Wissenschaft. Stanislaw Lern hat es mit der Naturwissenschaft zwar weniger weit, aber in der Eroberung des Publikums dafür umso weiter gebracht: seine in aller Welt in Millionenauflagen verbreiteten Romane, Erzählungen, Essays setzen bei der Wissenschaft an und nützen eine geniale Phantasie, um deren Möglichkeiten ad absurdum zu führen. Manche, aber keineswegs alle seine wissenschaftlichen Utopien wurden von der Wirklichkeit eingeholt. Nun betritt mit dem übrigens in Wien geborenen Carl Djerassi wieder ein Naturwissenschaftler die literarische Bühne. Vielleicht ist seine neue Beschäftigung eine Art Nobelpreisersatz, denn wie Erwin Chargaff war auch Carl Djerassi knapp daran, den Preis zu bekommen. Djerassi wenigstens ist ein reicher Mann, er ist der „Vater der Anti-Babypille". Für die Literatur ist es zu bedauern, daß er erst mit sechzig zu schreiben begann, denn er ist ein Erzähler von geradezu magischer Begabung.

Seine Stoffe entstammen fast alle dem Bereich der Wissenschaft, enthalten allzumenschliche Konflikte, ironisieren die Eitelkeit, den Ehrgeiz, die Intrigensucht, die Verführbarkeit der Stars des wissenschaftlichen Milieus. Witz und Philosophie, Absurditäten und der blendend geschilderte verrückte Alltag der Forschungskünstler machen die deutsch erschienenen Bücher „Cantors Dilemma" und „Der Futurist" (beide Haffmans-Verlag) zu erzählerischen Bravourstücken. Bürger aus dem Bereich der einstigen Donaumonarchie - Chargaff ist in Czerno-witz geboren - finden offenbar als alte Alexandriner leicht den Weg von der Wissenschaft zur Literatur.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung