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Ein Wald voller Initiativen

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Am 21. Februar 1987 startete die blau-gelbe SPÖ in Wiener Neustadt ihre Zukunftsdiskussion über die Aufwertung der Landes- Regionen. Motto: „Niederösterreich soll blühen!“

Landeshauptmann-Stellvertreter und SP-Landesobmann Ernst Höger war mit dieser Startveranstaltung „in die Höhle des Löwen“ gegangen. Die Wiener Neustädter SPÖ unter dem „roten“ Bürgermeister Gustav Kraupa hatte vor der Hauptstadt-Volksbefragung im März 1986 offen gegen die Landesparteispitze den Aufstand geprobt.

In Wiener Neustadt war auch der Jubel am geringsten, als am 10. Juli 1986 im Landtag St. Pölten zur Landeshauptstadt erhoben wurde. Trotzdem ist der Start der SP-Zukunftsdiskussion in Wiener Neustadt gelungen. Höger hatte von Experten — darunter Helmut Detter, Geschäftsführer des Forschungszentrums Seibersdorf, Ilan Knapp, Geschäftsführer des österreichischen Berufsforschungsinstituts - eine mehrere tausend Seiten umfassende gründliche Bestandsaufnahme des Landes erarbeiten lassen. In Wiener Neustadt wurde sie in lesbarer Kurzfassung verteilt, ebenso eine Bestandsaufnahme der Umweltsituation im Land.

Högers Experten schwebte das Ziel vor, die Ressourcen der einzelnen Landesregionen aufzuspüren. Diese sollen gezielt weiterentwickelt und gefördert werden.

„Das Lernen, die Berufsausbildung soll sich auf den Bedarf in den Regionen beziehen“ , formuliert Höger die Zielvorstellungen seiner Zukunftsdiskussion. „Nur so schafft man die Voraussetzung für sinnvolle Arbeit im unmittelbaren Lebensraum, für Arbeitsplätze vor der Haustür oder in zu mutbarer Entfernung. Damit ist gleichzeitig die Grundlage für mehr Wohlstand, für mehr Wohlbefinden aller Bürger geschaffen.“

Was Höger vorschwebt, konkretisiert Ilan Knapp, ein begeisterter Wahl-Niederösterreicher: „Wir müssen in den Regionen des Landes die verborgenen Schätze heben!“

Ein „verborgener Schatz“ ist für Knapp etwa die Uhrmacherschule in Karlstein im nördlichsten Waldviertel: „Diese Ausbil dungsstätte ist einzigartig in Europa. Aber wo sitzen die Absolventen? In der Schweiz, in Frankreich und in Japan. Warum erzeugt man nicht Waldviertler Modelluhren und exportiert sie selbst?“

Warum ist das Waldviertel nicht längst „die Holzwerkstätte Europas“ ? — fragt Knapp. Statt dieses Ziel anzus.treben, exportiert man den Rohstoff Holz — um ihn etwa aus Italien in „veredelter Form“ , als Holzmöbei teuer zu importieren. „Wir sind eigentlich schon Entwicklungsland geworden“ , klagt der Regionalisierungs-Experte.

Mit ihrer Zukunftsdiskussion will die SPÖ nun den neuen Kurs im Land unterstützten. „Was die Experten erarbeitet haben, ist nur die Diskussionsgrundlage für die Landesbürger“ , erklärt Ernst Hö-, ger. „Vorschläge, was man in ihrem unmittelbaren Lebensbereich wirklich machen kann, um ihr Wohlbefinden zu stärken und die Wertschöpfung zu heben, die müssen sie schon selbst bringen!“

Und Höger schwebt vor, die „größte Bürgerinitiative in Nie derösterreich“ starten zu wollen.

Dieser „Startvorgang“ sieht so aus: An jeden der 560.000 Haushalte im Land ging im Februar ein „Zukunftsblatt“ . Die SPÖ klärte darauf über ihr Vorhaben auf und lud ein, auf einem Fragebogen selbst Vorschläge für Regionalisierungsprojekte einzusenden.

„Tausende sind dieser Aufforderung nachgekommen“ , erfährt man im SPÖ-Landtagsklub. Tausende haben auch die Experten- Analyse, in Kurzfassung als „Arbeitsbuch“ herausgegeben, angefordert. Sie wollen sich intensiv auf die in den nächsten Monaten bis zum Sommer in den Bezirken geplanten Diskussionsabende vorbereiten. Darauf wiederum soll der SP-Zukunftstrailer, ein Kleinlaster mit Informationsmaterial, zusätzlich aufmerksam machen.

In den Sommermonaten sollen alle Bürgervorschläge gesichtet, redigiert und nach Dringlichkeit geordnet werden. Wenn im Herbst die Projektliste für die Regionalisierungsvorhaben im Jahr 1988 erarbeitet wird, wird die SPÖ diese Bürger-Projekte vorlegen.

„Nicht alles kann auf einmal verwirklicht werden“ , erinnert Höger daran, daß auch die VP über ihre „Zukunftswerkstätten“ Vorschläge unterbreiten wird. Aber wer mitgearbeitet hat, erhält auf jeden Fall eine Belohnung: „Wir überreichen zum Dank für jeden Vorschlag einen Baumsetzling“ verspricht Höger.

Ob der Baumsetzling die Bürger animieren wird? Vielleicht. Vielleicht aber auch die dunkle Prophezeiung Ilan Knapps: „Wenn die Leute die Chance jetzt nicht ergreifen, wenn sie nicht mitmachen am Zukunftskonzept, ist es billiger, Ostösterreich an den Osten zu verschenken!“

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