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Eine Wahrheit - viele Teilwahrheiten

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Um noch einmal auf Jözsef Kardinal Mindszenty und die Überführung seines Leichnams von Mariazell nach Esztergom zurückzukommen: Der ganze Vorgang entbehrte bei aller Großartigkeit und Symbolik nicht einer gewissen Problematik und Zwiespältigkeit. Nicht nur die Motivation der vergangenen und gegenwärtigen Akteure des Dramas Mindszenty und seiner Aktualisierung erscheint widerspruchsvoll, auch die kaum zu vermeidende Frage, wer historisch letzten Endes Recht behalten hat, läßt sich nicht eindeutig beantworten.

Auf den ersten Blick scheint es so, daß nur der tote Kardinal der von der Geschichte Rehabilitierte, ja der triumphal Bestätigte ist. Und in der Tat hat Mindszenty insofern nicht nur den größeren Mut, sondern auch den größeren Weitblick bewiesen, als er die Brüchigkeit des Kommunismus durchschaute und nicht von der Annahme seiner Langlebigkeit ausging, sondern auf seinen Zusammenbruch setzte.

Doch auch dem damaligen Episkopat und der Kurie, die sich über den Kopf Mindszentys hinweg mit dem kommunistischen System arrangierten, kann man nicht nur legitime pastorale Motive zubilligen, das Martyrium der totalen Konfrontation von den Gläubigen abzuwenden,

sondern auch eine klarere Einsicht in die historische Überholtheit des fürstlichen Gewandes, das Mindszenty, im Besitz eines kirchenrechtlich unanfechtbaren Titels, nicht ablegen wollte.

Der tragische Konflikt Mindszentys mit der eigenen Kirche zeigt einmal mehr, daß wir Menschen immer nur Teilwahrheiten erkennen und ihnen gemäß handeln. Für den Menschen gilt nicht nur das Wort des Dichters „Des Lebens ungemischte Freude ward keinem Irdischen zuteil", sondern auch die paulinische Feststellung, daß unser Wissen Stückwerk ist und daher jedes auf einem bestimmten Wissensstand beruhende Handeln einseitig sein muß und einer umfassenden Kritik möglicherweise nicht standhält, ohne deswegen falsch sein zu müssen.

Wir Menschen sind nur Inhaber von Teilwahrheiten, die sich beim Auftauchen neuer, uns unbekannt gebliebener Wahrheiten relativieren. Von dieser Gesetzmäßigkeit, die menschliches Wissen und Tun in den Status der Vorläufigkeit und Bedingtheit verweist, sind auch so treue und erlauchte Diener Gottes, wie Mindszenty einer war, nicht ausgenommen. Aber das steht einer ehrfürchtigen Anerkennung nicht im Wege.

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