6836986-1975_20_08.jpg
Digital In Arbeit

„Von seiner Würde nie demissioniert“

19451960198020002020

Es gab wenige, die sich seiner Persönlichkeit entziehen konnten. Jahrelang galt der Kirchenfürst mit den asketischen Gesichtszügen als der Märtyrer für die Freiheit der Kirche schlechthin. Und als Vorkämpfer gegen das unmenschliche Gesicht des Funktionärskommunismus in Osteuropa. Für viele galt er aber, besonders irr den letzten Jahren, auch als „Relikt einer vergangenen Zeit“ und wesentliches Hindernis für einen „fruchtbaren Dialog“ mit den kommunistischen Regimen.

19451960198020002020

Es gab wenige, die sich seiner Persönlichkeit entziehen konnten. Jahrelang galt der Kirchenfürst mit den asketischen Gesichtszügen als der Märtyrer für die Freiheit der Kirche schlechthin. Und als Vorkämpfer gegen das unmenschliche Gesicht des Funktionärskommunismus in Osteuropa. Für viele galt er aber, besonders irr den letzten Jahren, auch als „Relikt einer vergangenen Zeit“ und wesentliches Hindernis für einen „fruchtbaren Dialog“ mit den kommunistischen Regimen.

Werbung
Werbung
Werbung

Dienstag, den 6. Mai 1975, läutete die zweitgrößte Glocke des Wiener Stephansdomes, die „Halbpumime-lin“, zehn Minuten lang zum Andenken an einen Mann, dessen Leben in Taten und nicht, wie bei vielen anderen, nur in Worten, ein Monument

des praktizierten Humanismus der katholischen Kirche war. Im Wiener Krankenhaus der Barmherzigen Brüder war dieser Mann nach einer schweren Operation einem Herzversagen erlegen, im biblischen Alter von 83 Jahren. Wer war dieser Jözsef Mindszenty, der schon zu Lebzeiten zur Legende geworden war?

Unter dem Namen Josef Pehm wurde er am 29. März 1892 in Csehimindszent geboren, 1915 zum Priester geweiht und 1944 zum Bischof von Veszprem. Als Protest gegen die Greuel des Nationalsozialismus magyarisierte er seinen ursprünglich deutsch-ungarischen Namen. Offen trat er gegen Reichsverweser Miklös von Horthy auf und dann erst recht gegen die „Pfeil-

kreuzler“. Damals machte er seine erste Bekanntschaft mit dem Gefängnis. 1945 wurde er von sowjetischen Truppen befreit und im gleichen Jahre noch zum Erzischof von Esztergom und damit zum Primas der katholischen Kirche in Ungarn

ernannt. Papst Pius XII. verlieh ihm im Februar 1945 die Kardinalswürde.

Der unbeugsame Mindszenty geriet bald in Konflikt mit den neuen, diesmal roten Diktatoren. Als er sich öffentlich gegen die Verstaatlichung der Konfessionsschulen aussprach, wurde er dafür vom Räkosi-Regime mit Rede- und Predigtverbot bestraft.

Da er sich, seinem aufrechten Naturell entsprechend, nicht an dieses unsinnige Verbot hielt, wurde er 1948 verhaftet und in den Kerker geworfen. Im Frühjahr 1949 inszenierten die Kommunisten einen Schauprozeß, in dessen Mittelpunkt der offenbar durch Drogen gefügig gemachte Kardinal stand. Die Anklage

lautete auf „Hochverrat und Spionage“. Zur „Urteilsfindung“ wurde auch ein angebliches Geständnis Mindszentys verlesen, über das der Kardinal später sagte: „Man hat es mir unter unmenschlichen Qualen abgezwungen“.

Das Urteil lautete, wie erwartet, auf lebenslänglichen Kerker. Und wieder schlössen sich Gefängnistore hinter Jözsef Kardinal Mindszenty.

Einer der ersten, für den sich die Kerkertore während des Volksaufstandes im Oktober 1956 öffneten, war er. Doch die Periode der Freiheit währte nicht einmal einen Monat lang. Am 4. November 1956 floh der Kardinal vor der russischen Solda-

teska in die amerikanische Botschaft, die ihm in den folgenden 15 Jahren Zuflucht bot. Zwei kleine Zimmer im dritten Stock des Jugendstilhauses auf einem Budapester Platz, der ironischerweise „Freiheitsplatz“ heißt, wurden sein Refugium. Täglich unternahm er mit einem Sicherheitsbeamten der US-Botschaft „Spaziergänge“ im schmalen Hinterhof des Gebäudes. Ansonsten empfing er, isoliert von der Außenwelt, nur Vertreter des Vatikans. Unter diesen ist an erster Stelle der Wiener Erzbischof, Franz Kardinal König, zu nennen.

Mindszenty lehnte jedoch jedes Angebot der ungarischen Regierung ab, die Botschaft und das Land zu verlassen. Vor allem anderen wollte

er voll rehabilitiert werden. Die Situation würde mit den Jahren für den Vatikan, die US-Regierung und das Budapester Regime gleichermaßen immer komplizierter. Einerseits stand die aufrechte, aber unbeugsame Haltung Mindszentys den breit angelegten Versuchen zur Verbesserung der Beziehungen des Heiligen Stuhls mit Ungarn hinderlich im Wege, anderseits suchte auch Präsident Nixon nach einem politischen Ausgleich der USA mit Moskau und seinen Verbündeten.

Mindszenty hat es Nixon nie vergessen, daß er ihn 1971 aus der Botschaft „hinauskomplimentierte“: „Ich erkannte damals, daß ich ein uner-

wünschter Gast in der Botschaft war“, stellte Mindszenty in seinen Memoiren fest. Gleichzeitig berief ihn Papst Paul VI., sozusagen offiziell, aus Budapest ab. Im September des gleichen Jahres verließ der von Gram gebeugte Mann seine Heimat und begab sich zur Teilnahme ah der Synode nach Rom. Ein Sprecher des Vatikans erklärte damals: „Die ungarische Regierung hat Kardinal Mindszenty amnestiert, und zwar ohne Intervention des Vatikans.“

Knapp einen Monat später ließ sich Kardinal Mindszenty, über Vermittlung des Wiener Erzbischofs, im Päzmäneum in Wien nieder. Dieses Haus, in der Boltzmanngasse — ganz in der Nähe der amerikanischen Botschaft (!) — ist ein ehemaliges

ungarisches Priesterseminar und nach wie vor Eigentum der ungarischen Kirche.

Mindszenty blieb aber auch in Wien nicht lange untätig. Von hier aus besuchte er ungarische Gläubige in vielen Ländern, vor allem auch in Westdeutschland und in den USA. Er hielt zahlreiche Vorträge, gab Interviews — nachdem er seine anfängliche Scheu vor den Journalisten abgelegt hatte. Schließlich vollendete er seine Memoiren, die 1974 im Verlag Ullstein-Propyläen erschienen sind. Darin machte er aus seiner Kritik an der seiner Ansicht nach zu nachgiebigen Ostpolitik des Vatikans kein Hehl.

Im Februar erklärte dann der Heilige Stuhl den Sitz des Erz-bischofs von Esztergom, dessen Inhaber Kardinal Mindszenty nach wie vor war, für vakant. Der Kardinal stellte damals fest, er lehne sich nicht gegen die Entscheidung des Vatikans auf, habe aber „weder von der Würde eines Erzbischofs noch von seiner Würde als Primas der katholischen Kirche Ungarns demissioniert.“

Über die Ostpolitik des Vatikans wird die Geschichte entscheiden. Fest steht derzeit nur, daß Mindszenty Konsequenz gezeigt hat, als Mensch und als Diener der Kirche. Von der heute so vielzitierten politischen Meinung, „jeder habe das Recht, hin und wieder seine Weltanschauung zu revidieren“ und politischer Irrtum sei nicht nur entschuldbar, sondern geradezu selbstverständlich, hat er wohl nichts gehalten. In diesem Sinne wird er für Generationen von Christen Vorbild bleiben.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung