6755001-1967_43_02.jpg
Digital In Arbeit

Mindszenty

Werbung
Werbung
Werbung

Es ist, als ob eine Lähmung, als ob ein Starrkrampf die Welt befallen habe. Es geht nichts weiter, es wird nichts aufgearbeitet, die Fragen bleiben unbeantwortet, die Probleme werden nicht gelöst: Vietnam, Naher Osten, deutsche Teilung usw. Die Welt tritt auf der Stelle, meist auf einer sehr gefährlichen Stelle. Es scheint, als ob die Kirche, immer an den Krankheiten der Zeit mitleidend, hier keine Ausnahme bilden würde. Gemeint ist der Fall Mindszenty.

Mindszenty ist vor allem ein menschliches, dann ein politisches, schließlich aber auch ein kirchliches Problem. Anscheinend war es jetzt einer Lösung am nächsten, wenn man der , internationalen Presse Glauben schenkt. Von vatikanischer, aber auch von irgendwie katholisch-publizistisch kompetenter Seite liegen, fast möchte man sagen, wie immer, keine Kommentare vor. Die Weltagenturen meldeten den plötzlichen Besuch Kardinal Königs bei Mindszenty in Budapest, den zweiten innerhalb kürzester Zeit. Zum erstenmal dehnte sich dieser Besuch über einen Tag aus. Der Wiener Erz-bischof schlief in der US-Botschaft und hatte am Abend und am nächsten Vormittag Unterredungen mit Mindszenty. Dann aber flog er wieder allein über München nach Rom. Hatte König den Auftrag, Mindszenty nach Rom zu bringen, und hatte sich Mindszenty geweigert, zu fahren? „Wie Sie sehen, bin ich leider allein“, hatte Kardinal König in München bei einer Zwischenlandung gesagt. Das kann darauf schließen lassen, muß es aber nicht.

In Rom sagte König nur, daß er in Zukunft gerne wieder Mindszenty besuchen werde. Nur besuchen oder doch mehr? Wie immer, dort wo es keine richtigen Informationen gibt, gedeihen Gerüchte, Kombinationen und Spekulationen. In Verlegenheit, sich auf alle möglichen Stellen zu berufen, kam man nicht. So werden die berühmten „vatikanischen Kreise“ strapaziert, vage kirchliche Stellen, die Amerikaner, die Ungarn, ja sogar von Mindszenty selbst will man etwas erfahren haben. Der Phantasie und der Kombinationsgabe sind keinerlei Grenzen gesetzt. Es melden die einen, Mindszenty wollte das Grab seiner Mutter besuchen und auch seine Bischofsstadt, was die ungarische Regierung abgelehnt habe. Es wird erzählt, in Schwechat sei schon eine vatikanische Chartermaschine sozusagen mit laufendem Motor ge-

standen, um Mindszenty so rasch wie möglich wegzubringen. Ganz anders sei es gewesen, sagt eine amerikanische Zeitung. König habe nicht die Aufgabe gehabt, Mindszenty nach Rom zu bringen, sondern im Gegenteil ihn zu überreden, in der amerikanischen Botschaft zu bleiben, die er bei Erscheinen des neuen amerikanischen Botschafters verlassen wollte, ganz gleich, was mit ihm darauf geschehen würde.

Das beklagenswerte, zutiefst menschliche Schicksal des ungarischen Kardinals ist seit Jahren eines der ergiebigsten Objekte internationaler publizistischer Rätselraterei. Für jemanden, der genausoviel weiß wie alle anderen, nämlich im Grunde gar nichts, scheint die einzige- Möglichkeit, diesem Mann Respekt zu erweisen, darin zu bestehen, diese Rätselraterei nicht mitzumachen.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung