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Weltgeschichte um einen Mann

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Die kommunistischen Machthaber Ungarns beeilen sidi mit ihrem großen Schauprozeß. Der Primas von Ungarn, Kardinal Mindszenty, wird in diesen Tagen vor dem Volksgerichte stehen. Die Regie wird klappen, so wie sie bisher geklappt hat. „Dokumente“ über „Dokumente“, sicher auch Zeugen über Zeugen und dann „eigene Geständnisse“ nach Bedarf. Es kann keine Sensationen mehr geben, alles ist vorbereitet und auf alles ist man vorbereitet. Die Einzelheiten sind auch ganz gleichgültig. Denn was sich da abspielen wird, ist kein Gerichtsverfahren, sondern ein wohlausgeklügellter Anschlag auf das Leben eines Mannes, der es wagte, die persönliche Freiheit, die Freiheit des Gewissens und die Ehre der menschlichen Persönlichkeit gegen Terror und Tyrannei zu verteidigen. Er wird als Mensch diesem Anschlag zum Opfer fallen, er, Kardinal Mindszenty, der Fürstprimas von Ungarn. Wir Alltagsmenschen leben im Strom der vergänglichen Zeit, wandeln im Wechsel der Tagesereignisse und haben selten Gelegenheit, Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft zu überblicken. Diese Fähigkeit ist den Hellsehern vorenthalten, den Künstlern, den großen Gesetzgebern oder den Genies des sittlichen Lebens.

Kardinal Mindszenty bekleidet die erste kirchliche Würde in einem Lande, das an dem Treffpunkte, wo zwei Welten sich begegnen und Zusammenstößen, seit tausend Jahren um seinen Bestand kämpft. Auf einer Seite die christliche Kulturgemeinschaft, welche das humanistische Erbe der antiken Welt aufsog und mit neuem Geiste verklärte; auf der anderen Seite eine Weltanschauung, der gewisse Werte zwar nicht abzustreiten sind, deren grundlegender Charakter aber immer die Herabsetzung der Persönlichkeit, die Verachtung der Freiheit, der blinde Gehorsam und der Kult der Macht war. Diese Weltanschauung vertraten die verschiedenen Steppenvölker, welche das Land und die Kultur des christlich gewordenen Ungarntums ständig bedrohten, später die Mongolen und an der Wende der Neuzeit die Osmanen. Das Un- garntum wählte seit der Regierung des ersten Königs, des hl. Stephans, die christliche Kultur. Zwischen den zwei Welthälften den Westen.

Als der Heilige Stuhl Josef Mindszenty zum Primas von Ungarn ernannte, stand dieser auch der alten Gegensätzlichkeit gegenüber. Vom ersten Tage an, da ihn die Prima- tialwürde schmückte, war sein Sinnen auf diese geistige Auseinandersetzung gerichtet. Er wurde ein sozialer Primas. Sein heißestes Bemühen ging um die Seele des Arbeiters. Unter ihm entstanden in der Budapester industriereichen Bannmeile eine Reihe neuer Pfarren und Kirchen und dies in einer Zeit der großen allgemeinen Not der Nachkriegsjahre. Aber der Primas gab das heroische Beispiel durch persönliche Opfer. In Kellern und Scbulzimmern begann diese Arbeiterseelsorge. Es war etwas Großes, als die junge Pfarre St. Rita eine stillgelegte Fabrik kaufen und in eine Kirche verwandeln konnte. In diesem Bemühen um die Arbeiter entäußerte sich Mindszenty seiner Mittel bis zur eigenen Armut. Als eine Deputation katholischer Lehrlinge bei ihm erschien, um für ihre Organisation seinen Beistand zu erbitten, wies er auf den Teppich, auf dem er stand: „Ich habe kein Geld, aber nehmt diesen Teppich“ und er nötigte die Widerstrebenden in seiner Gegenwart ihn -fortzu- tragen. Durch ihn wurde eine eigene Arbeiterseelsorge geschaffen und angefeuert durch das Beispiel des Kardinals, wurden junge Priester zu Aposteln in den Fabriken. Nicht umsonst. An der großen Marienfeier, bei der Mindszenty in einer eigenen Arbeiterkundgebung sprach, zählte man 50.000 bis 70.000 Arbeiter und Arbeiterinnen als Teilnehmer. Da wurden die Machthaber ganz unruhig. War dieser Primas nicht eine Gefahr? Seine Arbeiterseelsorger gehörten als „Agenten der Reaktion“ zu den ersten Opfern der Verfolgung.

Aber der Zusammenstoß der Weltanschauungen und der damit verbundenen gesellschaftlichen Formen beschränkt sich heute eben nicht mehr bloß auf das Randgebiet, sondern bewegt und will aus den Angeln heben die ganze Welt. Die weltgeschichtliche Bedeutung dieses Zusammenstoßes konnte man freilich nirgends so hell erkennen, wie eben am Kampfplatze der zwei Weltanschauungen in den kleinen Oststaaten. Eben deshalb wurde das Verhalten der Persönlichkeit Mindszentys zum geistigen und menschlichen Beispiel. Aber dort, wo der Kampf am heftigsten ist, wo es nicht nur um Prinzipien, sondern um Leben und Tod geht, neigen die Menschen gerne dahin, die Gegensätze auf irgendeine wohlmeinende Weise auf einen gemeinsamen Nenner zu bringen, um so ihre Existenz, ihr Eigentum, oft ihr Leben retten zu können. Der Primas war vom Anfang an entschieden gegen jedes Übermalen der Randlinien, gegen ein Verwischen der Gegensätze. Es ist ein Mißverständnis, wenn gesagt wird, er sei ein Schismatiker in der Politik, er habe keine Verständigung gewollt. In der äußeren Weltgeschichte, in der Geschichte der Politiker, Ökonomen und Heerführer gibt es Kompromisse. Aber es gibt auch eine innere Weltgeschichte, die Geschichte des Heils und der nach Erlösung verlangenden Menschheit. Das Ziel dieser Geschichte ist klar, sie verträgt sich nicht mit geschäftlichen Traktaten. Der Primas war überzeugt, daß die äußere Weltgeschichte — die politische, wirtschaftliche und militärische — letzten Endes von der inneren Geschichte abhängt und dem Laufe derselben folgen muß, wenn sie auch zeitweilig gegensätzliche Wege geht. Infolgedessen konnte er auch in der äußeren Geschichte die Lüge, die Täuschung, das Betrügen und Tarnen nicht zulassen. Das alles lag für Mindszenty im Grundsätzlichen und berührte nicht die menschlichen Beziehungen. Für ihn so wenig — daß hier von einer charakteristischen Haltung dieses Mannes Zeugnis gegeben werden darf: der Primas, von dem die Kommunisten glaubten, er hasse sie, fastete wöchentlich zweimal bei Brot und Wasser und brachte dieses Opfer in christlicher Weise für die Bekehrung Rußlands dar. Dabei sah er in der Weitsicht des sittlichen Genies die Vollendung seines persönlichen Schicksals klar voraus. Er wußte und betonte es gegenüber seiner Umgebung sehr oft, daß die Aufgabe, die ihm die Vorsehung zuteilte, eine weltgeschichtliche Aufgabe sei: die Menschheit zu ermahnen, daß jeder Christ um der christlichen Weltanschauung willen auf seinem Posten standhalten muß, bis zur Aufopferung seines Schicksals. Der Kampf geht ja nicht um politische, wirtschaftliche Fragen, sondern um die ewigen Werte des christlichen Glaubens. Er wußte, daß er im Sinne seiner Berufung und seines einmal gefaßten persönlichen Standpunktes den vorausgesehenen Leidensweg bis zum Ende gehen muß. Als gelegentlich der Gefangennahme seine greise Mutter schluchzend Abschied nahm, tröstete er sie: „LiebeMutter, weinen Sie nicht, dem ungarischen Volke wird es vidi nützen, daß ich mich aufopfere.“ Der Primas zitierte gern die Worte des heiligen Johannes Chrysostomus, den die Weltmacht verfolgte: „Wir fürchten uns nicht, daß wir versinken, weil wir auf einem Felsen stehen. Was sollte ich fürchten? Den Tod? Mein Leben ist Christus und der Tod mir ein Gewinn. Die Landesverweisung? Des Herrn ist die Erde und all ihre Pracht. Den Raub des Eigentums? Wir haben nichts in die Welt mitgebracht und werden auch nichts hinausnehmen können. Womit die Welt midi bedroht, verachte ich, womit sie lockt, verlache ich. Ich bitte euch, seiet fest in der Liebe!“ Was konnte auch der Primas fürchten? Wäre es möglich, daß seine Stimme endgültig verstumme und sein bisheriges Wirken vernichtet werde, dieses Wirken, das beispielgebend ist vor der ganzen christlichen Welt?

Der Primas selbst charakterisierte seine Geschichtsauffassung und seine aktive Rolle in diesem geschichtlichen Theater vor einem Besucher mit den Worten: „Ich werde niemals die Täuschung und die Krummwege wählen und niemals mich der Verantwortung entziehen. Was ich getan, dafür werde ich die Verantwortung übernehmen und Rechenschaft geben nicht nur vor dem Sondergericht, sondern auch vor dem letzten Gericht, vor Gott und der ganzen Menschheit, vor jedem Menschen, vom ersten bis zum letzten, der irgendwann auf dieser Erde leben wird.“

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