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Der Bekenner-Kardinal

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Als Hitlers Wehrmacht Norwegen überfallen hatte und Tiefflieger den greisen König Haakon mitsamt seinem Ministerpräsidenten, ehe sie das rettende Schiff nach England erreicht hatten, über eine Hochebene bei Oslo jagten, richtete die katholische Dichterin und Nobelpreisträgerin Sigrid Undset in heller Empörung einen Protestruf an die Welt. Kurz darauf las man in der Goebbels-Presse den lapidaren Satz: „Die

Schriftstellerin Sigrid Undset hat die Zeichen der Zeit nicht verstanden.“

An diese ebenso bornierte wie paradoxe Formulierung fand man sich erinnert, las man in diesen Tagen oder hörte man über Ätherwellen einzelne Rezensionen der unlängst erschienenen „Erinnerungen“ des Primas von Ungarn, Jözsef Kardinal Mindszenty; Rezensionen, verfaßt von gescheiten, die „Zeichen der Zeit“ offenbar erkennenden Leuten, darunter auch von Kulturphilosophen — was immer das sein mag. Wie sollten sie auch, diese Männer der „zweiten Aufklärung“ und der načhkonzlllar-klerikalen Selbstdemontage, begreifen, was einen Christen von der schlichten, gradlinigen Gläubigkeit, einen Ungarn von der natürlichen, durch keinen billigen Hohn beirrbaren Vaterlandshebe, einen tapferen, soldatischen, von keiner zeitgemäßen Wehleidigkeit befallenen, ganzen Mann wie diesen auf sich und sein Gewissen allein gestellten Menschen Jözsef Mindszenty (sie wußten es natürlich besser und sagten „Mindschenty“ und „Eschtergom“) veranlassen kannte, zu tun, was die Zeitkonformen nie und nimmer tun, nämlich: die Zeichen der apokalyptischen Zeit sehr wohl zu verstehen und „nein“ zu sagen!

Mindszenty sagte „nein“, alleingelassen in einem Land ohne König, ohne rechtmäßige Regierung, ohne einigendes Symbol — denn die heilige Krone, das durch ihre Träger hindurch regierende Zeichen des heiligen Stephan, war nach Westen entschwunden — in einem von fremden Despoten besetzten, von einer unterentwickelten Minderheit beherrschten Land und alleingelassen mit einem Volk, das in ihm den letzten rettenden Felsen erkannte, an den es sich klammem konnte. (Bei Abwesenheit und bei Versagen des Königs ist der Kardinal-Primas Sprecher des verwaisten ungarischen Volks.)

Er sagte „nein“ und es kam, was kommen mußte: die Lügenhetze, die Gefangenschaft, die Folter, die Drogen, der Schauprozeß und das Schandurteil. Enthalten die ersten

Kapitel des Buches mehr eine zwar sehr wesentliche, aber mühsamer zu lesende Dokumentation, so erreichen jene Abschnitte der „Erinnerungen“, die mit der Verhaftung in Esztergom und mit der Präparierung des AVO- Häftlings für den Budapester Schauprozeß beginnen, die Dramatik und die Dimensionen, die der Persönlichkeit des Verfassers und dem Thema „Christenverfolgung“ gemäß sind.

Dem Thema gemäß sind auch gewisse, sehr unpathetisch erzählte Einzelheiten jener Art, wie sie immer wieder zu unterlaufen pflegen, wenn Christen für ihren Herrn das Äußerste auf sich nehmen. Da ist die Wachmannschaft, die den Gefangenen nie allein läßt und sich mit den im Ungarischen sehr ausgiebig vorhandenen Zoten verständigt, plötzlich abgelenkt, und dem Gefangenen ganz nahe steht ein halbgeleertes Glas Wein, daneben ein Stück Weißbrot; in Sekundenschnelle vermag Mindszenty die Wandlungsworte zu sprechen und den zu empfangen, der ihm alle Kraft und den Trost gibt, den keiner sonst zu geben imstande wäre. Oder es bekennt einer der Wächter atemlos flüsternd, Christ zu sein und mit-zu-leiden … Und dann der eine, unbeschreibliche Tag von 1956, da die AVO-Polizisten Reißaus nehmen, da die Bewohner des protestantischen Dorfes schüchtern hereinkommen, den Primas der Nation sehen, berühren wollen und ihn um seinen Segen bitten — bis dann hinter ihnen, brüllend vor Freude, die angeblich „.roten“ Panzergrenadiere von Retsäg hereinstürmen, den Befreiten in ihre Kaserne holen, ihn nicht fortlassen, ehe er mit ihnen nicht ausgiebig und magyarisch gefeiert hat und anderntags ihn im Triumph in das freie, für wenige Tage wieder ungarische Budapest geleiten. Was für ein Volk! Ist das Chauvinismus, wenn da die Begeisterung des Ungarn Mindszenty aus jedem Wort hervorbricht?

Dann freilich wieder die Konfinierung in der amerikanischen Gesandtschaft, die halben Versprechungen aus Rom, das Exil. Aber dieses Leben war, weiß der Himmel, wert, gelebt zu werden, es war ebensowenig umsonst wie Ungarns heroischer Aufstand von 1956. Die Welt wäre anders und ärmer ohne diesen flammenden ungarischen Herbst, sie wäre orientierungsloser ohne Christen, Ungarn und Männer nach der Art des Jözsef Mindszenty.

Gewiß, in den vatikanischen Zentralstellen versteht man, was ein Kardinal Mindszenty und sein Bekennen für die Kirche bedeuten. Versteht man dort aber, was Mindszenty für die Ungarn (nicht nur daheim, sondern in aller Welt) bedeutet? Wir wagen, es zu bezweifeln. Eher noch verstehen das die österreichischen Nachbarn, durch jahrhundertelange Schicksalsgemeinschaft zu Vettern und Schwägern geworden, und man möge sich deshalb in Rom nicht wundern, wenn hierzulande der Name Mindszenty geläufiger ist als der Name des jeweiligen Kardinal- Staatssekretärs.

ERINNERUNGEN. Von Jözsef Kardinal Mindszenty. Übersetzung aus dem Ungarischen von Jözsef Vecsey und Felix Eisenring. 107 Bild- und Textdokumente. Verlag Ullstein GmbH, Frankfurt am Main, Ber- . lin-Wien, Propyläen-Verlag, 1974, 2. Auflage.

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