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Weltgericht über einen Prozeß

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Die Akten über den Prozeß Mindszenty sind geschlossen. Es hat sich in dem letzten halben Jahrhundert wiederholt ereignet, daß das persönliche Schicksal eines einzelnen Menschen und das in ihm vergewaltigte menschliche Recht im Mittelpunkte eines leidenschaftlichen Weltinteresses stand. Aber in keinem dieser Fälle wurde der Schuldspruch über die Rechtsbrecher mit soldier vernichtenden Einmütigkeit und Schärfe gefällt, wie diesmal. Dieses Zusammenfinden der Menschen über alle Trennungen der Spradie, der Rasse und des Glaubens hinweg ist zu einem Ereignis geworden, das aus dem Dunkel unheimlicher menschlicher Verirrungen wie ein tröstendes Licht leuchtet. Ob nun der Methodistenprediger Montgomery die Sitzung des amerikanischen Repräsentantenhauses mit einem Gebet für den Kardinal der katholischen Kirche eröffnet; ob die große Gemeinschaft der Anti- Defamation-League of B’nai Brith durch ihren Präsidenten Richter Meier-Steinbrink an Kardinal Spellman kundgibt: „Unsere Sympathien sind bei Kardinal Mindszenty in seinen Leiden; wir vereinigen unsere Gebete mit den Ihren“; ob Regierungsstellen großer Länder, wie das Pariser Außenministerium, der tiefen Trauer Ausdruck geben, welche „die öffentliche Meinung 1 ohne Unterschied des Glaubens empfindet", oder ob zehntausende Briefe in den Sprachen aller zivilisierten Völker sich im Generalsekretariat der UNO häufen, in denen das Einschreiten der Vereinten Nationen verlangt wird — immer ist es eine Bestätigung der an den Papst gerichteten Worte des Doyens des diplomatischen Korps am Vatikan: daß der Papst mit seinem feierlichen Protest im „Fall Mindszenty“ „nicht nur als Oberhaupt der katholischen Kirche und Christenheit, sondern als Mund der Menschheit und Menschlichkeit .seine Stimme erhoben hat". Papst Pius XII. konnte darauf mit der denkwürdigen Feststellung erwidern, daß diese historische Audienz „die Gefühle und Bestrebungen des bei weitem größeren und mitfühlenderen Teils der Menschheit“ widerspiegle, „die Reaktion nicht nur des christlichen, sondern des menschlichen Bewußtseins auf jede Unterdrückung und Tyrannei, auf jede Verleugnung der Gerechtigkeit und jede Bedrohung jener Rechte und geheiligten Grundsätze, deren Unverletzbarkeit für die Würde und die Sicherung der wesentlichen Werte unerläßlich ist“.

Die Regisseure der Budapester Justiztravestie haben sich schwer geirrt. Sie haben damit gerechnet, sich erhebende Stimmen des Unwillens würden in der von vielen schrecklichen Erlebnissen ermüdeten Menschheit bald zum Schweigen kommen. Doch eine Anklage ist gegen sie erhoben im Namen der ein- gebornen Naturrechte des Menschengeschlechts, der Rechte, ohne deren geheiligten Bestand die Erde sich in ein Großdominium der Sklavenhalter und der Henker verwandeln würde. Die Anklage, unter der heute die ungarischen Machthaber stehen, wird nie mehr zum Schweigen kommen.

In den letzten Tagen haben zehn ungarische Diplomaten und Konsularbeamte aus Protest gegen die „Kreuzigung" des Primas

— wie einer von ihnen sagte — ihre Stellen niedergelegt, unter ihnen der bisherige ungarische Generalkonsul in New York, B a 1 a s s a, ein Protestant, und ebenso der Generalkonsul von Cleveland, Karl M a r i k.

ist, vermag sich der Mann heute noch rficht zu erklären. Vermutlich handelte es sidi in diesem Fall um Luminal und Hypnose.“ Von einem vornehmen Beobachter, der den Prozeß Mindszenty ebenso wie dessen Vorgeschichte im Detail aus der Nähe verfolgen konnte, erhält die „Furche" f o 1- gende Darstellung:

„Kardinal Mindszenty wurde einem kombinierten Verfahren unterworfen. Den ersten Abschnitt des Eingriffes in seine geistige und seelische Existenz bildete eine Schwächung seiner physischen Verfassung. Man ließ ihn hungern. Daß er körperliche Torturen erlitten habe, verriet sein Zustand im Gerichtssaal nicht. Aber der Kardinal ist seit langem schwer an Basedow krank. Dieser Zustand mag den Angriff auf seine Physis begünstigt haben. In dieser geschwächten Verfassung verabreichte man ihm ein Mittel, das, aus der chinesischen allen ihm bekannten äußeren Eindrücken, einem methodischen Einhämmern immer derselben .Vorstellungen, vor allem seiner eigenen Schuld, unterworfen. Bis in den Schlaf hinein dauert diese eintönige Prozedur. Solange in dem geistig niedergebrochenen Gefangenen sich kein Zeichen eines inneren Widerstandes regt, wird er mit scheinbarer Freundlichkeit behandelt, wo er im geringsten abweicht, erfolgt eine scharfe Reaktion, wie bei einem Kinde, das man straft. Am Schluß ist der Gefangene völlig aus seinem früheren geistigen Sein herausgehoben, ausgehöhlt und nicht viel mehr als ein Automat. Die erreichte Kulmination ist von zeitlich begrenzter Dauer, deshalb die scheinbar widersinnige Kürzung des Schauprozesses. Weil aber der Gefangene auch noch nidit ein eigenes Denkvermögen besitzt und keine größeren Vorstellungszyklen zustande bringt, darum die Beschränkung des Verhörs, in der dem Angeklagten nie Anlaß zu einer zusammenhängenden Darstellung gegeben wird, auf ein knappes Antwortspiel der Bejahung aller vorgelegten Fragen. Die im ,Fall Mindszenty' mit Erfolg angewandte Zubereitung der Angeklagten ist zweifellos das Produkt jahrelanger, sorgsam gruppier- ter, experimenteller Erfahrungen.“

Man möchte fragen: Wie ist es möglich, aus welchen Verirrungen des Geistes können solche Anschläge geboren werden? Das Luzerner „Vaterland“ zitierte folgenden Text von Dr. Wyschinskij, dem großen Anwalt und stellvertretenden Außenminister

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