6799604-1971_27_10.jpg
Digital In Arbeit

Primas und Kartäuser

19451960198020002020

Das „Problem“ Mindszenty ist wieder im Gespräch. Gerüchte behaupten, daß das Schicksal des ungarischen Primas, der seit 1956 in der Budapester USA-Gesandtschaft im Asyl lebt, sich nun endlich entscheiden soll. Die Gerüchte sprangen auf, als der ungarische Außenminister Peter anläßlich seines Rom- Aufenthaltes auch einen Besuch im Vatikan machte. Die Gerüchte verdichteten sich, als bekannt wurde, daß der vatikanische Ostreisende Msgr. Giovanni Cheli in Kürze auch nach Budapest fliegen soll. Offiziell allerdings wurde von keiner Seite behauptet, daß diese Gerüchte der Wirklichkeit entsprechen. Kardinal König dagegen sagte in einem Interview ausdrücklich, daß seiner Meinung nach sich an dem Fall Mindszenty nichts ändern werde. Diese Meinung dürfte die richtige sein, und so wird das Problem Mindszenty weiterhin wie eine schwere Last auf allen Beteiligten liegen.

19451960198020002020

Das „Problem“ Mindszenty ist wieder im Gespräch. Gerüchte behaupten, daß das Schicksal des ungarischen Primas, der seit 1956 in der Budapester USA-Gesandtschaft im Asyl lebt, sich nun endlich entscheiden soll. Die Gerüchte sprangen auf, als der ungarische Außenminister Peter anläßlich seines Rom- Aufenthaltes auch einen Besuch im Vatikan machte. Die Gerüchte verdichteten sich, als bekannt wurde, daß der vatikanische Ostreisende Msgr. Giovanni Cheli in Kürze auch nach Budapest fliegen soll. Offiziell allerdings wurde von keiner Seite behauptet, daß diese Gerüchte der Wirklichkeit entsprechen. Kardinal König dagegen sagte in einem Interview ausdrücklich, daß seiner Meinung nach sich an dem Fall Mindszenty nichts ändern werde. Diese Meinung dürfte die richtige sein, und so wird das Problem Mindszenty weiterhin wie eine schwere Last auf allen Beteiligten liegen.

Werbung
Werbung
Werbung

Der ungarische Primas ist zunächst eine Last für die Amerikaner, in deren Gesandtschaft er Asyl gefunden hat. Die Sicherheitsvor- richtunigen und Schutzmaßnahmen, die die USA treffen mußten und unterhalten, kosten ein nicht geringes Geld. Vor allen Dingen aber belastet die Tatsache der Asylgewährung an dein ungarischem Primas die amerikanisch-ungarischen Beziehungen und verhindert jede Normalisierung.

Der Aufenthalt des ungarischen Primas in der Budapester USA-Gesandtschaft ist natürlich auch eine Belastung für das derzeitige ungarische Regime. Nur au gerne würde es dieses peinliche Problem endgültig gedöst sehen. Die Lösung allerdings, die dem ungarischen Regime vorschwebt, stößt auf den eisernen Widerstand des ungarischen Primas. Denn das ungarische Regime würde Mindszenty jederzeit gerne begnadigen und hätte nichts dagegen, wenn er seinen Lebensabend irgendwo in Ungarn oder sogar dm Ausland verbringen würde. Gagen diese Lösung erhebt allerdings der Primas sein eisernes Nein. Mit Recht sagt er, daß Dutzende urud Hunderte von Verurteilten durch das Regime wieder rehabilitiert wurden. Und mdt Recht sagt er, daß auch er zu Unrecht verurteilt wurde und deshalb vollen Anspruch auf Rehabilitierung habe.

Eine Begnadigung würde besagen, daß das Urteil zu Recht bestanden hat. Ein wegen eines Verbrechens verurteilter Primas kann, auch wenn er begnadigt wird, logischerweise nicht Primas bleiben, er müßte sofort abdanken. Und damit kommen wir zum Kernpunkt der ganzen Angelegenheit, die das Problem scheinbar unlösbar macht.

Rückkehr nach Gran?

Ein Kardimalsprimas Mindszenty, der als Rehabilitierter die USA-Ge- sandtschaft verlassen würde, wäre automatisch wieder Erzibischof von Gran und Primas von Ungarn und damit auch Vorsitzender der ungarischen Bischofskonferenz. Und vor diesem Gedanken zittert nicht nur das Kädär-Regime, sondern zittern auch zum Teil die übrigen ungarischen Bischöfe, zittert ein Teil des Klerus und zittert so mancher ungarische Katholik. Viele ungarische Bischöfe haben heute, teils gezwungen, teils freiwillig ihren Frieden mit dem jetzigen Regime in Ungarn gemacht. Sie leben in ihren Palais ein halbfeudales Löben, beziehen ein für ungarische Begriffe sehr hohes Gehalt und versuchen teilweise mit hohlen barocken Phrasen die Rolle von Obenhirten zu spielen. So mancher von ihnen würde noch gerne vierspännig durch das Land fahren und die Huldigung von weißgekleideten Mädchen, martialischen Gendarmen, verängstigten Kaplänen und finster dreinblickenden Oberlehrern entgagenn abmen. Die Diözesen selbst regieren sie kaum, denn diese werden von den Generalvika- ren beherrscht, die fast durchwegs so treue Anhänger des Regimes sind, daß die Kontrollorgane der Regierung, die sogenannten „Schnurr- bartbischöfe“, abberufen werden konnten. Ein Kardinal Mindszenty, dessen Haltung jedermann kennt, würde sofort diese Harmonie zwischen Regierung und Kirche in Ungarn stören. Und deshalb wünscht nicht nur das Kädär-Regime, sondern wünschen sich auch viele Bischöfe und Katholiken, daß

Mindszenty entweder in der USA- Gesandtschaft bleibe oder als Begnadigter abdanke. Und so auf keinen Fall mehr eine Rodle in der ungarischen Kirche spielen möge.

Nach der Meinung der Regierung und auch vieler Katholiken Ungarns muß der Kardinal abdanken. Vor dem Gedanken, daß ein nicht ab- gedankter Mindszenty ins Ausland gehen könnte, erschaudert das Regime in den Tiefen seiner Seele. Denn noch befindet sich die Ste- phamskrone nicht in Ungarn und wen immer der ungarische Primas mit der Stephanskrone krönt, der ist apostolischer König von Ungarn. Über solche Gedamikengänge mag der rationale Westen lächeln, aber das ungarische Regime lächelt darüber nicht, weiß es doch nur zu gut, daß ein tausendjähriger Mythos nicht ohne weiteres aus dem Unterbewußtsein eines Volkes zum Verschwinden gebracht werden kann.

Abdankung: ja oder nein?

Das Kernstück des Problems Mindszenty ist somit die Frage: Ist der Primas, bereit, abzudanken oder nicht. Alle Welt weiß, daß er zuerst seine volle. RehaTnhtienunig_ verlangt, Damit ist aber die wieäerei’nsetzüng’ in seine Rechte als Primas von Ungarn verbunden. Und niemand weiß, ob er dann wirklich abdanken wird. Und niemand weiß, was in der Zeit, und wenn sie noch so kurz wäre, da er regieren könnte, geschehen würde. Es ist erheiternd, zu sehen, wie plötzlich Menschen, die ansonst allies daransetzen, um die Autorität des Papstes zu untergraben, diese Autorität mobilisieren wollen, damit durch sie der Primas zur Abdankung gezwungen werde. Aber der Vatikan wird den Primas, solange er Gefangener ist, auf keine Weise die Abdankung auch nur nahelegen. Nach altrömischem Begriff kann ein Gefangener nicht frei über sich entscheiden. Ein Mensch kann nur entscheiden, wenn er vollkommen frei ist. Also muß der Kardinal erst aus seiner freiwilligen Gefangenschaft entlassen sein, ehe der Vatikan an diese Frage Herangehen kann. Und damit schließt sich wieder der Kreis. Der Kardinal wird seine Gefangenschaft nur verlassen, wenn er vorher rehabilitiert ist.

Kardinal Mindszenty ist nicht beliebt. Dies zu behaupten, hieße die Augen vor der Wirklichkeit verschließen. Ein so harter und unbeugsamer Charakter wie er es ist, ist nie beliebt. Und dennoch zwingt diese Haltung, die den Primas zu einem hoffnungslosen Dasein verurteilt, eigentlich jedermann — sei es geheim oder offen — eine gewisse Bewunderung ab. So mancher wird sich fragen, woher der Kardinal diese eiserne Konsequenz des Durchstehens besitzt. Die einen werden sie in seiner religiösen Einstellung finden. Diese spielt gewiß eine nicht zu unterschätzende Rolle. Anderseits darf nicht übersehen werden, daß im Lauf der Kirchengeschichte, vom heiligen Petrus angefangen, auch die frömmsten Geister in Stunden der Depressionen schwach gegenüber dėr Gewalt wurden. Andere wieder werden im magyarischen Charakter des

Kardinals die Wurzeln seiner Widerstandskraft finden. Das magyarische Volk ist gewiß immer enorm tapfer gewesen, aber ebenso zeigte sich nur zu oft 1m Laufe der ungarischen Geschichte bei den Magyaren die Bereitschaft, mit einem harten Gegner ein Kompromiß einzugehen. Die Wurzeln dieser Widerstandskraft wird man vielleicht finden, wenn man untersucht, von wo der Kardinal kommt. Er hieß nicht immer Mindszenty, sondern in früherer Zeit „Pem“, und damit ist schon angedeutet, wo die Wurzeln seiner Abstammung liegen. In Ungarn verraten viele Namen die Abstammung ihrer Träger. Ein „Horvath“ ist kroatischer, ein „Török“ türkischer, ein

„Nėmet“ schwäbischer Abstammung und ein „Pem“ ist eben böhmischer Abstammung. Und daß Verhalten Mindszentys ist ein typisches Verhalten, das der böhmischen Nation eigen ist: nämlich ein Durchstehenkönnen um jeden Preis, selbst wenn man von einem Meer von Feinden -umgeben ist. In der hussiti- schen Zeit hat das böhmische Volk žum erstenmal aller Welt vor Augen geführt, wie stärk seih Durchstehehköhnen in den verzweifeltsten Situationen ist. Dieses damiaiige Durchstehenkönnen hat der böhmischen Nation den Ruf eingetragen, daß jeder Tscheche Hussit sei, was natürlich völlig falsch ist.

Der Primas von Ungarn beweist sein böhmisches Durchstehenkömnen wie nur ein „Pem“ es imstande ist. Ein Durchstehenkönnen, um dem Recht zum Sieg zu verhelfen.

Kardinal Mindszenty war schon gegen Ende des Krieges, als er noch Bischof von Veszprėm war, von der Pfeilkreuzlerregierung eingesperrt worden. Ende 1948 wurde er vom kommunistischen Regime neuerlich verhaftet und im Februar 1949 zu lebenslänglichem Kerker verurteilt. 1956, beim Budapester Aufstand, war er einige Tage in Freiheit. Nach Niederschlagung des Aufstandes ging er in die USA-Botschaft ins Asyl. Und seit 15 Jahren ist er wieder gefangen. Fast ein Viertel seines Lebens war er ein Gefangener.

Der banale Satz „Die Zeit geht weiter“, der so oft verwendet wird, um einem Menschen das Sterben schmackhaft zu machen, zeigt auch hier wieder, daß- er eigentlich - ein Verbündeter jener ist, die durch-; stehen können

Denn die Zeit geht zugunsten Kardinal Mindszentys weiter und nicht zugunsten seiner Gegner, von denen viele schon tot sind. Szälässi, der Pfeilkreuzlerhäuptling, der ihn einkerkern ließ, wurde nach dem Krieg gehenkt. Innenminister Rajk, der ihn verhaften ließ, wurde kurz darauf von den eigenen Kommunisten gehenkt. Räkosi, dieser Statthalter Rußlands in Ungarn, eine Dschingis- Khan-Figur, wurde von Rußland selbst abberufen und starb irgendwo in der Verbannung. Der Vorsitzende des „Gerichtes“, das Mindszenty verurteilte, verübte Selbstmord. Sein Staatsanwalt Dr. Alapi verfiel in Wahnsinn. Mindszenty überstand alle Folterungen, die seinen Sekretär fast an den Rand der Umnachtung brachten, so daß er alles unterschrieb. „Die Zeit geht weiter“, aber nur für den Kardinal. Er ist zwar schon bald 80 Jahre alt, aber das Kartäuserleben, das er führen muß, erhält Menschen gesund. Vielleicht wird er 90 Jahre, vielleicht 95, vielleicht sogar 100: „Die Zeit geht weiter.“ Er ist heute vielleicht der einzige Kardinal, dessen Leben ausschließlich von Meditation ausgefüllt ist. Auch dies erhält gesund, und nicht nur die Seele, sondern auch den Leib.

So ist tatsächlich kein Ende des Problems Mindszenty in absehbarer Zeit zu erkennen. Er wird nicht ab- danken und ohne Abdankung wird er nicht rehabilitiert oder auch nur begnadigt werden. Er wird weiterhin das Asyl in der USA-Botschaft in Anspruch nehmen müssen, wird in seiner kleinen- Wohnung mit dem Ausblick auf den Freiheitsplatz ein Kartäuserleben führen. Bis ihn eines Tages der Tod von seinem Leiden erlöst, oder aber die Verhältnisse. sich so gewandelt haben, daß er, wenn auch vielleicht nur f-ür einen Tag, wieder von seiner Diözese Besitz ergreifen kann. Kommenden Generationen aber wird er als ein neuer legendärer „Stephan“ erscheinen, der bereit war, die Freiheit zu opfern, um der Gerechtigkeit zu-m Sieg zu verhelfen. Und dabei war dieser neue ungarische „Stephan“ in Wirklichkeit ein „Pem“.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung