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Nixons Brief an Mindszenty

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Zwei widerspruchsvolle Meldungen der „New York Times“ haben einen großen internationalen politischen Wirbel um die wertvollste historische Reliquie Ungarns, um die Heilige Stephanskrone, verursacht, die sich bekanntlich seit Kriegsende in amerikanischem Gewahrsam befindet. Am 9. Februar meldete das New Yorker Blatt auf der ersten Seite, die USA hätten „Mindszenty versichert, daß die Krone weiterhin in amerikanischem Gewahrsam bleibe“. Dieselbe Zeitung überraschte jedoch drei Tage später, also am 12. Februar, ihre Leser mit einer diametral entgegengesetzten Stellungnahme: „Die Heilige Krone ist Eigentum des ungarischen Volkes, ihr Platz ist in Budapest, ohne Rücksicht auf das heutige Regime, das im übrigen international anerkannt ist und auch von den USA diplomatisch akzeptiert wurde.“

Was wurde da hinter den politischen Kulissen zwischen Wien, New York, Budapest und Washington gespielt?

Der in Wien lebende ungarische Primas, Kardinal Jözsef Mindszenty, wäre in einem freien Ungarn — das Land ist seit 1945 von russischen Divisionen besetzt — in Ermanglung eines Königs der höchste Würdenträger des Landes. Somit ist er auch heute am Schicksal der Stephanskrone interessiert. Aus hohen amerikanischen Quellen sickerten im vergangenen Jahr Gerüchte durch, wonach Washington im Interesse einer Vertiefung der „friedlichen Koexistenz“ und der Wirtschaftskooperation bereit sei, die Krone an die ungarische Regierung auszuliefern. Es sei dabei nicht verschwiegen, daß die Budapester kommunistische Regierung die Rückgabe der Reliquie niemals öffentlich verlangt hatte. Von informierten, aktiven Budapester Politikern konnte man erfahren, daß die Regierung mit der Krone anläßlich offiziöser Verhandlungen nur argumentiert habe, daß sie sich jedoch in Verlegenheit befände, wenn die Stephanskrone tatsächlich zurückerstattet werden sollte. Man könnte in diesem Fall die Stephanskrone mit den anderen Krönungsreliquien, die sich ebenfalls in den Vereinigten Staaten befinden, nicht einfach verstecken, man müßte sie in Budapest zur Schau stellen. Wer kann voraussehen, wie die Symbolkraft der Reliquie auf die breiten Volksschichten sich auswirken würde?

Darüber besteht kein Zweifel, daß die Heilige Stephanskrone, samt den Krönungsreliquien, rechtsmäßiges Eigentum des ungarischen Volkes ist. Wichtigste Grundbedingung für eine Rückgabe wäre die ungestörte Ausübung des Selbstbestimmungsrechts durch eben dieses Volk. Wie die politische Vertretung der ungarischen Emigration in New York, das Ungarische Komitee, am 18. November 1971 in einer Deklaration festgestellt hat, ist nur das ungarische Volk für die Übernahme zuständig, vorausgesetzt, daß es seine Freiheit und Unabhängigkeit zurückgewonnen hat.

Die neuesten amerikanischen offiziösen Stellungnahmen haben eigentlich in verschiedenen Formulierungen nur alte Zusicherungen wiederholt. Hervorgehoben wurde, daß die Rückgabe nur unter der Bedingung vorstellbar sei, daß „im Verhältnis beider Länder eine wesentliche Verbesserung eintrete“. Diese modifizierte Formel wurde zum erstenmal vom Stellvertretenden Außenpolitischen Staatssekretär David Abshire, der als Verbindungsmann des State Department zum Kongreß fungiert, in einem Brief gebraucht, den er an den Präsidenten des Nationälkomitees der Republikanischen Partei (Republican National Council), Senator Robert Dole, richtete. Senator Dole wurde hingegen von der Leitung des Amerikanischen Ungarischen Verbands ersucht, gegen die Auslieferung der Stephanskrone energisch zu protestieren und sie zu verhindern. Senator Dole hat diese Bitte an das amerikanische Außenministerium weitergeleitet. Der volle Text des Antwortschreibens des Stellvertretenden Staatssekretärs Abshire erschien sodann im Congressional Record vom 15. Juni 1971. Dort konnte man im Wortlaut lesen: „Obwohl wir die Rückgabe der Heiligen Krone gegenwärtig gar nicht planen, verstehen wir das Interesse der ungarischen Regierung an dieser Frage. Wir sind uns dessen bewußt, daß jegliche Aktion in Verbindung mit der Heiligen Krone den Zielen des allgemeinen Wohlwollens und nicht der Zwistigkeit dienlich sein sollte. Die Auslieferung kann nur unter solchen Umständen und nur dann erfolgen, wenn im Verhältnis der USA zu Ungarn, sowohl in dessen Atmosphäre als auch in der Praxis, eine weitere, wesentliche Verbesserung eingetreten sein wird.“

In den folgenden Monaten haben sich zahlreiche amerikanische und ausländische Persönlichkeiten in dieser Angelegenheit an das Weiße Haus, das State Department, an Henry Kissinger und andere Instanzen gewandt, und sie erhielten immer die Abshire-Formel als Antwort.

Die oben erwähnte Briefgarantie des Präsidenten Nixon an Kardinal Mindszenty enthält jedoch zwei wichtige Neuigkeiten: den Gesichtspunkt der Zuständigkeit und die Tempierung! Jözsef Mindszenty hatte in seinem Brief vom 3. November 1971 an Präsident Nixon Befürchtungen und Besorgnisse zum Ausdruck gebracht. Die Schrift des Kardinals wurde im Weißen Haus von einer ungarischen Politikerdelegation überreicht, die aus den folgenden Personen bestand: Tibor von Eckhardt, ehemaliger Präsident der Kleinlandwirtepartei Ungarns, derzeit Präsident des gemeinsamen ungarischen außenpolitischen Komitees; Läszlö Päsztor, Abteilungschef des Republican National Council, und Istvän Gereben, Kopräsident des Ungarischen Freiheitskämpfer-Verbands. Die besagte Delegation wurde vom Sonderratgeber des Präsidenten, Harry S. Dent, im Weißen Haus empfangen. Im Auftrage des Präsidenten antwortete dann auch Harry S. Dent dem Kardinal mit Datum vom 19. Jänner 1972. Dieses Antwortschreiben Nixons versichert expressis verbis, vorläufig gebe es keinerlei Pläne hinsichtlich einer Rückgabe der Heiligen Krone. Eine etwaige Handlung in dieser Richtung (eventual action) sollte im Geiste des Wohlwollens und nicht des Hasses erfolgen. In der Botschaft des Präsidenten an Kardinal Mindszenty wird auch anerkannt, daß dieser infolge seiner hohen kirchlichen Würde berechtigt sei, in der Sache der Heiligen Krone Stellung zu beziehen. Seine Stellungnahme müsse dementsprechend berücksichtigt werden.

Photo: Archiv

Das Antwortschreiben wurde im Weißen Haus zu einer Zeit formuliert, als unter der Leitung des ungarischen Ministerpräsidenten Jenö Fock eine hohe Regierungsund Parteidelegation ihre Koffer für die lange Reise nach Nordvietnam gepackt hatte. Das Kädär-Regime hatte sich, über sowjetische Initiative, neuerlich verpflichtet, gemeinsam mit Polen und der CSSR enorme Militär- und Wirtschaftshilfe an Hanoi zu leisten. Bekanntlich ist der Vietnamkrieg in erster Linie nicht Chinas, sondern Moskaus Unternehmen gegen die USA, ein Unternehmen, dessen Löwenanteil die osteuropäischen Satelliten zu tragen haben. Zweifellos wollte das Weiße Haus auch mit seiner Antwort in Sachen Stephanskrone der Budapester Regierung zur Kenntnis bringen, daß der erwähnte Schritt des ungarischen KP-Regimes in Washington als Affront angesehen wird.

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