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Widerstand

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Der Minister eines kommunistischen Landes sagt, daß der Kommunismus "hinweggefegt" gehört. Er sagt es öffentlich in einem Interview mit dem Sender "Freies Europa". Die Entwicklung in Ungarn ist atemberaubend. Das Denkmal Stalins wurde während der Revolution des Jahres 1956 gestürzt - jetzt unrd die Axt an die Wurzeln des gesamten Systems gelegt.

Auf improvisierten Buchständen in Budapest findet man jetzt viele Bücher, die lang verboten waren, unter ihnen George Orwells "1984" und Arthur Koestlers "Sonnenfinsternis". Gerade diese Titel zeigen, wie groß der Nachholbedarf ist und wie lang die geistige Aufarbeitung noch dauern wird.

Ein altgedienter Journalist schrieb ein Buch über die Ra-kosi^Ära und bekennt im Gespräch, daß das auch eine Auseinandersetzung mit seiner eigenen Vergangenheit sei. Postkarten mit dem Bildnis Imre Nagys werden verkauft und öffentlich wird eine Rehabilitierung des Mannes gefordert, der1958 htTigerichtet wurde. Er war Ministerpräsident während des Aufstandes und wollte damals Ungarn atts dem Warschauer Pakt lösen.

Bemerkenswert in dieser Phase der stürmischen Reform in Ungarn ist das Schweigen der Kirche. Etwas mehr als 40 Jahre ist es jetzt her, daß der Primas von Ungarn, Jozsef Mindszenty, in einem aufsehenerregenden Schauprozeß verurteilt wurde, wegen Landesverrats, wegen Spionage und wegen Devisenschiebung.

Er war eine Symbolfigur des Widerstandes gegen den Kommunismus, und wenn Nagy am 16. Juni unter der Beteiligung zehntausender Ungarn in ci-nemEhrengrab beigesetztwird - dann müßte auch an eine Rehabilitierung Jozsef Mindszen^ tys gedacht werden. Sie unrd aber bisher nicht einmal von der Kirche gefordert.

Mindszenty war 1974 vom Vatikan als Primas von Ungarn amtsenthoben worden -und zwar gegen seinen Willen. In seinen Erinnerungen sieht er sich als sinnloses Opfer der vatikanischen Ostpolitik, die versuchte, die kirchliche Situation in Ungarn zu verbessern.

Scheinbar gelang dies auch, aber umden Preis, aaßderkomr munistische Staat zum Herrn der Kirche wurde. Das Staatssekretariat für Kirchenfragen machte die entscheidende Kirchenpolitik, und heute gibt es nichtwenigekritische Ungarn, die eine Mitschuld der Kirche sehen wollen und bei allen Vorbehalten gegen den starrkonservativen Mindszenty eines anerkennen: "Er hat energischen Widerstand geleistet und damit ein Beispiel gegeben."

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