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Mindszenty - ein zweifaches Opfer
Die bevorstehende Überführung des Leichnams von Kardinal Jözsef Mindszenty aus Mariazell nach Esztergom am 3. Mai (FURCHE 13/1991) ist ein posthumer Triumph einer Persönlichkeit, deren Charakterbild von der Parteien Haß und Gunst verwirrt, in der Geschichte schwankte und schwankt.
Wie kaum eine andere zeitgeschichtliche Figur und kirchenpolitische Erscheinung lag sein Wirken zwischen den Polen von Hosianna und Crucifige. Er wurde von den Kommunisten in einem Schauprozeß, dem die Brechung seines freien Willens durch Folter und physische Einwirkung anderer Art vorangegangen war, verurteilt und gedemütigt. Nach 1956 und den langen Jahren in der amerikanischen Botschaft wurde er mehr und mehr zu einem Hindernis für das Arrangement der ungarischen Kirche mit dem kommunistischen System, ja zu einer Belastung für die Weltkirche und den Papst, in deren Willen er sich schließlich, freilich nicht ohne Bitterkeit und mit dem Gefühl, fallengelassen worden zu sein, fügte und abdankte.
Mein Lehrer an der Universität Wien, Professor August Maria Knoll, sagte in seinen Vorlesungen zum Fall Mindszenty wiederholt den folgenden Satz: „Mindszenty ist ein Opfer des Antichrist geworden - aber auch der feudalen Kirche Ungarns." Er legte auf beide Bestandteile dieses Satzes großen Wert und hielt es für
eine Verkürzung der historischen Wahrheit, nur einen Aspekt unter Vernachlässigung des anderen zu betonen.
Dem Antichrist wäre es nicht so leicht gefallen, Mindszenty zu diskreditieren und scheinbar zu überführen, wenn er nicht in den Augen vieler, aber auch in seinem Selbstverständnis ein Paladin des Feudalsystems, ein geistlicher Reichsverweser, gewesen wäre. Der große Gegenspieler in der Zwischenkriegszeit, der Stuhlweißenbur-ger Bischof Ottokar Prohäska, riet der Kirche, sich rechtzeitig von Besitz und Feudalstruktur zu lösen, um nicht unter die Räder der Geschichte zu kommen. Mindszenty und der Episkopat aber hielten in bester Absicht an ihren Positionen und Privilegien fest, die ihnen nach 1945 genommen wurden.
Über die Haltung Mindszentys nach 1956 hat der jetzige Primas von Ungarn, Kardinal Paskai, nach seinem Amtsantritt harte Worte gefunden. Doch auch er beugt sich jetzt vor der Größe dieses Mannes, der trotz seiner partiellen historischen Blindheit und seiner zeitgeschichtlichen Umstrittenheit eine heiligmäßige Persönlichkeit war.
Sein historisches Bild ist zwischen Verteufelung, Totschweigung und unkritischer Idealisierung angesiedelt. Doch daß er nunmehr dort seine letzte Ruhestätte findet, wo er als ehemaliger Primas von Ungarn hingehört, müssen ihm auch jene gönnen, die ihn zeitlebens und posthum kritisiert haben.
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