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Ein Höchstmaß an Autonomie

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All diese Erscheinungen wurzeln in der „Autonomie“ der ungarischen Kirche. Papst und Konzil sicherten der Kirche in Ungarn und ihren Institutionen ein Maß an Autonomie, wie es sonst keinem zur römischen Oboedienz gehörigem Reiche zukam. Die besonderen Rechte des Primas erinnern einigermaßen an die Stellung der Patriarchen der vorgregorianischen Kirche. Diese Sonderstellung des Primas wurde von den Staatsrechtslehrern bis in die neueste Zeit „auch als ein Recht des Staates, dem er angehört“, betrachtet und gefordert. Diese Autonomie kehrte sich sowohl gegen Rom als auch gegen den Staat. Sie trug selbst zur Neugestaltung des Verhältnisses von Kirche und Staat im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts erheblich bei. Als nach dem Ausgleich Ungarn daranging, die staatskirchenrechtlichen Verhältnisse zu revidieren, berief man 1870 einen katholischen Kongreß. Unter der Führung Koloman G h y-c z y s war die radikale Partei in der Majorität. Das vom Kongreß ausgearbeitete Statut war bestrebt, die Rechte der Bischöfe wie des Königs weitgehend einzuschränken. Es fand, nicht ohne Zutun des Primas, keine königliche Sanktion.

Die letzte Aussprache

So hat sich die Stellung des Primas in Kirche und Staat bis zu den Revolutionsperioden der kommunistischen Regime erhalten, wenn auch in der Zeit der Herrschaft Horthys, des „Königreiches ohne König“, selbst eine so bedeutende Persönlichkeit wie der Primas Justinian S e r e d y als Träger staatlicher Funktionen kaum in Erscheinung tritt. Die letzte bedeutungsvolle Aktion eines Primas ereig-

nete sich am 28. Oktober 1921, als der greise Fürstprimas Kardinal Johann Csernoch in Tihany erschien, um eine letzte Aussprache mit dem von ihm gekrönten König durchzuführen. Er gab Karl IV. die Versicherung, er werde zu dessen Lebzeiten keinen anderen König krönen. Er berichtete aber auch von dem Drängen der Regierung nach Abdikation des Königs. Karl ging auf dieses Ansinnen nicht ein und verwarf auch den Vorschlag des Primas, solange nicht nach Ungarn zurückzukehren, bis ihn die Nationalversammlung rufe.

Mit der Abschaffung der monarchistischen Staatsform ist die staatsrechtliche Funktion des Fürstprimas zweifellos untergegangen, nicht aber wohl die kirchliche. Es ist daher begreiflich, daß Kardinal Mindszenty sich im Gewissen verpflichtet fühlt, die Rechte der Kirche und seine kirchenrechtlichen Funktionen aufrechtzuerhalten.

Die Institution des Primats ist in Ungarn weit mehr eine nationale als eine kanonische Einrichtung; sie hat Türkenherrschaft und Reformation überstanden; sie wird auch die Unbilden der Gegenwart überstehen.

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