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Besuch im Budapester Primatialpalais

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Kardinal-Fürstprimas Joseph Mindszenty empfängt mich in dem arg bc-sdiädigten, aber zum Teil noch bewohnbaren. Primatialpalais der Ofener Burg.

Der ungarisdie Fürstprimas war bekanntlich nach dem König der erste staatsrechtliche Würdenträger des Landes. An dieser geschichtlichen Tatsache haben selbst die wesentlich veränderten Nachkriegsverhältnisse nicht zu rütteln vermocht. Er bildet auch heute einen jener festen Punkte, um die sich zum Teil das Leben des Landes bewegt. Und dieser Kirchenfürst überragt noch die staatsrechtliche Bedeutung seiner Würde durch seine Persönlichkeit. Vor ganz Ungarn steht er als der starke Er-wecker des katholischen Bewußtseins und als Hüter des katholischen Volksgutes.

Kardinal-Fürstprimas Joseph Mindszenty entstammt einer schlichten Bauernfam.lie aus dem „schönen Garten Mariens“, wie Transdanubien in einem alten ungarischen Kirchenlied genannt wird. Nirgends im Lande sind die Tradit onen lebendiger und die Menschen ausgeglichener, als in der hügeligen Landschaft Transdanubiens. Aber auch nirgends ist das Volk fortsdirittlicher gesinnt und von sdiönerem Humanismus durchdrungen, als in diesen von den christlichen Ideen des Westens unmittelbar befruchteten Gefilden Pannoniens. Der „größte Ungar“ und Schöpfer des modernen Ungarn: Graf Stephan Szechenyi und der „Weise des Vaterlandes“: Franz Deak haben hier das Licht der Welt erblickt. Nun ist in den schwersten Zeiten Ungarns abermals ein Sohn Transdanubiens als Hirt ürkf Hüter des ungarischen Sion

— wie die Erzdiözese Gran genannt wird

— zu historischer Rolle berufen worden. ' In dem Fürstprimas, der in den besten

Mannesjahren .steht, verkörpern sich die Wünsdie und Forderungen, die Pläne und Entsdilüsse der. sechs Millionen Ungarns, die durch die S'chicksalsschläge der jüngstvergangenen Jahre zu einer ungebrochenen Einheit zusammengesdiweißt wurden. Bereits als junger Priester war er, der Verfasser mehrerer Werke, als Meister des geschriebenen Wortes bekannt. Heute gilt er vielleicht noch mehr als Beherrscher des gesprochenen Wortes; er erinnert durch seine Rhetorik und seine persönliche Art an einen großen Vorgänger, einen Kardinal-Fürstprimas Peter Pazmany moderner Prägung. Wer er war, zeigte er schon, als er, noch kurz im Amte, den Pfeilkreuzlerhäschern Szalasis in bischöflichem Ornat ein Veto entgegenschleuderte und dann samt seinen Priestern und Theologen gehobenen Hauptes den Weg in den Kerker und ins Internierungslager antrat.

Da der Besucher an diese Erinnerung an. knüpfte und so auf die Lage der Kirche Ungarns gegenüber dem Nationalsozialismus und den Pfeilkreuzlern hinlenkte, sagte der Kardinal-Fürstprimas:

„Es galt den Druck des Nationalsozialismus und den Terror der Pfeilkreuzler in Ungarn auf zwei Gebieten, auf politischem und weltanschaulichem, abzuwehren. In der Politik tat es Graf Paul Teleky, der sich den Machtgelüsten des Nationalsozialismus mutig widersetzte, auf weltanschaulichem Gebiete aber tat die Kirche das Ihre mit einer gründlich durchdachten und planmäßig festgefügten Abwehr, die den Erfolg für sich hatte. Der Leitung der Katholisdien Aktion Ungarns gebührt die Anerkennung, diesen Plan entworfen und ausgeführt zu haben. Ihre Redner setzten sich in Konferenzen, Versammlungen und auf der Kanzel mit den offenen und geheimen Absichten des Nationalsozialismus auseinander. Zugleich verfaßten tüchtige Federn Flugschriften und Brosdiüren, in denen sie dem Rationalismus und' den Rassentheorien der anderen Seite die Lehre der Kirche gegenüberstellten; eine gute Organisation trug dafür Sorge, daß die Flug-

schriften zu Zehntausenden unter das Volk kamen. Außerdem versah sie die katholische Presse mit aufklärendem Material über die sdiwerbedrängte Lage der Kirche in Deutschland und in Osterreich. Hier waren Beispiele, die reichlich verwertet wurden. Insbesondere war es das führende katholische Tagesorgan ,Nemzeti Ujsag', das mit der Veröffentlichung der päpstlichen Enzykliken, wie auch der Hirtenbriefe'des deutschen Episkopates eine geschichtliche Mission erfüllte. Neben der Katholischen Aktion war es der ungarische Episkopat, der, die Ereignisse sub specie aeternitatis betrachtend, dem Volk immer wieder mit Nachdruck die weltanschaulichen Verirrungcn des Nationalsozialismus auseinandersetzte. Mein Vorgänger, Kardinal-Fürstprimas Justinian Seredy, nahm wiederholt mit dem ganzen Gewichte seiner großen geistigen Persönlichkeit in Wort und Schrift und seinen im Oberhaus gehaltenen Reden gegen den Nationalsozialismus Stellung. Als die Bischöfe Transdanubiens in einem Memorandum gegen die selbstmörderische Politik der Pfeilkreuzler Verwahrung einlegten, wurden die Bischöfe von Veszprem und S t u h 1 w e i ß e n b u r g samt dreißig Priestern und Theologen verhaftet und interniert. Es war ein opferreicher Kampf, den die Kirche zu führen hatte. Sie beklagt den Tod von einundfünfzig Priestern, die dem Sturm des Krieges und dem Terror der Nationalsozialisten und Pfeilkreuzler zum Opfer fielen.“

Über die Verfolgung der Juden in Ungarn sagte der Fürstprimasv-

„Die Pfeilkreuzler singen gegen die Juden mit kalter Planmäßigkeit vor. Zunächst verhafteten und internierten sie die Juden in der Provinz, dann erst die Juden in der Hauptstadt. Fürstprimas Justinian Seredy legte mit dem Einsatz aller Autorität und Würde im Namen der Menschlichkeit gegen das Treiben Verwahrung ein und erreichte in der Tat einen Aufschub der Internierung der Budapester Juden. Ihm ist zu verdan-■ken, daß die meisten Juden der Hauptstadt, unter ihnen fast alle Zioni-

stei von Budapest, gerettet wurden. Eine Tasache, die übrigens auch auf dem unlängst in Basel stattgefundenen Zionistenkongreß zum Vorschein kam, wo' die ungarischen stimmberechtigten Mitglieder des Kongresses im Vergleich zu den Juden anderer Länder so zahlreich waren, daß ihre Stimmenzahl als zu hoch befunden wurde.“

Das Gespräch wandte sich dann der Gegenwart zu:

„Im Bewußtsein der hehren Ideen der Atlantic Charta und anderer Urkunden“, erklärte der Fürstprimas, „hegen wir sowohl bezüglich des innerpolitischen Lebens Ungarns als auch bezüglich der Gerechtigkeit des Friedensvertrages bestimmte Erwartungen. Die Kirche setzt ihre Tätigkeit beinahe seit zweitausend Jahren unter den verschiedensten Verhältnissen ununterbrochen fort. Auf dem inneren Gebiet der Kirche gibt es keinen Stillstand. Der Dienst an dem von so vielen Schicksalsschlägen heimgesuchten ungarischen Volk drängt zum Handeln. Unsere Priester verstehen den Ruf der Zeit, sie sind eins mit dem Volk, sie teilen alle Entbehrungen mit ihm. Allerdings bereitet uns die Erhaltung verschiedener Institu-tibnen der Kirche große Sorgen. Die Kirche erhebt immer und überall auf die ungeschmälerte Freiheit des Gottesdienstes, wie auch auf die uneingeschränkte kulturelle, Presse- und Versammlungsfreiheit Anspruch, ohne die sich eine wahre Demokratie nicht einmal übergangsweise vorstellen läßt. In ihren Beziehungen zu ihrer Umwelt gesehen, bildet die Kirche Ungarns den am weitesten gegen Osten reichenden Zweig der katholischen Weltkirche'. Es war, wie noch im Mai' 1938 der herrliche Eucharistische Kongreß in Bud.ipest bewies, ein kräftig blühender Zweig. Man hat ihn verkürzt. Die Aufgabe der katholischen Kirche Ungarns ist dadurch noch größer geworden. Der ungarische Katholizismus hatte in der Vergangenheit die verschiedenen Völker des Donaubeckens im Zeichen der großen religiösen Wahrheiten zu einer seelischen und ideellen Einheit zusammengefaßt. An den verschiedenen Wallfahrtsorten, wie zum Beispiel- in Sasvar, Märiapocs Csik-somlyo, Radna, Mariagyüd usw. trafen sich alljährlich Hunderttausende von Katholiken ohne Unterschied der sprachlichen und volklichen Zugehörigkeit. Heute, da die politischen Verhältnisse eine wesentliche Verschiebung erfahren haben, ersdieint diese ausglechende, völkerverbindende Funktion geschmälert, aber die ungarische Kirche ist gewillt, auch in der neuen Lage im Geiste der christlichen Liebe a n dem Frieden und dem Wohl der Völker im Donaubecken mit allen ihren Kräften mitzuwirken.“

Kardinal-Fürstprimas Joseph Mindszenty entließ den Besucher mit einem Gruß an die Leser der „F u r c h e“. Anton Szentfülöpi-König, Budapest

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