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Heimkehr nach Agram

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Gleich Josip Broz-Tito ist Aloizije Stepinac der Sproß einer armen, doch kinderreichen Bauernfamilie. Am 8. Mai 1898 zu Krasic bei Agram geboren, hegte er schon früh Neigung 2<um geistlichen Stand. Doch der erste Weltkrieg schleuderte den Jüngling in die Wirrnis einer wenig beschaulichen Existenz. Er diente zunächst als Fähnrich in der k. u. k. Armee, geriet in Gefangenschaft und meldete sich dort freiwillig an die Salonikifront ins jugoslawische Heer. Zwei Tapferkeitsorden und die Ernennung zum Leutnant bezeugten seinen damaligen Enthusiasmus für den neuen jugoslawischen Gesamtstaat. Nachdem Stepinac abgerüstet hatte, kehrte er auf eine Weile in sein Heimatdorf zurück. Dann ging es nach Agram, wo er sich als Werkstudent schwer ums tägliche Brot zu sorgen hatte. Ein gütiges Geschick ließ den Agramer Erzbischof Bauer auf den sehr befähigten jungen Agrarwissenschafter und Nationalökonomen aufmerksam werden. Stepinac wurde auf Kosten Msgr. Bauers nach Rom gesandt, wo er an der Gregorianischen Universität die beiden Doktorate der Theologie und der Philosophie erlangte. Mit 32 Jahren erhielt er die Priesterweihe. Und nun begann ein steiler Aufstieg.

Binnen vier Jahren war es so weit, daß Stepinac, 1934 zum Titularerzbischof von Nicopsi ernannt, die Bischofsweihe empfing und gleichzeitig zum Koadjutor mit Nachfolgerecht des Agramer Metropoliten bestellt wurde. Nach dem Tod seines Gönners und väterlichen Freundes bestieg der noch nicht Vierzigjährige am 7. Dezember 1937 den Erzbischofsstuhl. Stepinac war bereits seit längerem der faktische Leiter der Erzdiözese gewesen, einer der bevölkertsten der katholischen Kirche, mit zwei Millionen Gläubigen, mehr als lOOO Kirchen und fast 400 Pfarreien. Jedes Regime, auch und besonders das dem Katholizismus gegnerischste, mußte mit diesem Hierarchen zählen. Das nahmen sowohl die deutschen Besatzungsbehörden als auch der totalitäre Staatschef Pavelic samt seiner UstaSa zur Kenntnis. Mit den einen hatte Erzbischof Stepinac weniger Reibereien als,mit den Leuten des Poglavnik Pavelic, die, in Übereinstimmung mit ihrem Führer und auf dessen Befehl, unsagbare Greueltaten verübten. Msgr. Stepinac bemühte sich, zu helfen und zu lindern, wo immer und soviel er konnte. Noch vor dem Kriegseintritt Jugoslawiens hatte er sich der Flüchtlinge aus Österreich und Deutschland, zumal der jüdischen, angenommen. Nun hielt er seine Hand auch über die Serben und über andere einheimische Opfer des Terrors der Ustasa.

Während des Partisanenkrieges hatten die Truppen Titos zeitweilig und manchenorts Rücksicht auf katholische Geistliche und auf die religiösen Gefühle der gläubigen Bevölkerung geübt. Nun bekundeten sie gegenüber Klerus und Laien, gegen die Kirche als Institution, keinen geringeren Haß als die Serben.

Inmitten dieser Atmosphäre war dem populären Agramer Metropoliten sein Los vorgezeichnet. Als er in wiederholten Kundgebungen gegen die Bedrängnisse der kirchlichen Freiheit auftrat, wurde ihm bedeutet, er möge das Weite suchen oder, aber sehr ernste Folgen gewärtigen. Stepinac war nicht der Mann, um vor Drohungen zurückzuschrecken, noch gar, um seinen Posten zu verlassen. Er blieb. So wurde er, im September 1946, verhaftet und nach einem Schauprozeß am 11. Oktober zu sechzehn Jahren Kerker verurteilt. Als im Sommer 1948 Tito in Konflikt mit Stalin geriet und daraufhin Fühlung mit dem Westen anstrebte, wollten die Belgrader Machthaber den Fall Stepinac aus der Welt schaffen. Sie erboten sich, den ungebeugten Erzbischof aus dem Gefängnis zu lassen, wenn er auf sein hohes Amt verzichtete und sich ins Exil begäbe. Obwohl er unter der Haft litt, weigerte sich Stepinac wiederum. Von amerikanischer Seite drängte man auf eine Maßnahme zugunsten des Erzbischofs. Man wußte sich in Belgrad schließlich keinen passenderen Rat, als, ohne eine Gegenleistung des hartnäckigen Gefangenen zu fordern, diesen aus dem Kerker an einen Konfi-nierungsort zu bringen, wo er, streng überwacht, ebenso unschädlich war wie im Gefängnis. Seit 5. Dezember 1951 wohnte nun Stepinac in einem schlichten Häuschen zu Krasic, seinem Geburtsdorf. Er durfte Messe lesen und sich sonst seinen geistig-geistlichen Beschäftigungen widmen, nicht aber auf die Leitung seiner Erzdiözese den leisesten Einfluß geltend machen. Nur sehr selten drangen Besucher zu ihm vor. Sie waren erstaunt über die umgebrochene Willenskraft des Kirchenfürsten, doch auch beunruhigt über seinen sich ständig verschlimmernden Gesundheitszustand.

sib firm? , stsbia)p nsssiwsgnm ißrania au ni dlBrlasi: ftag seri srb mu nomssiliii Pius XII., dem das Schicksal Kardinal Stepinac' zu Herzen ging, verlieh ihm beim Konsistorium vom 12. Jänner 1953 den Kardinalspurpur. Die jugoslawische Regierung ergriff den Anlaß, um die diplomatischen Beziehungen zum Heiligen Stuhl abzubrechen. Die Ankündigung der Verleihung des Roten Hutes an den Halbgefangenen von Krasic — am 29. November 1952 — genügte, um diesen Schritt auszulösen: Einen Monat später mußte der Charge d'Affaires der Nuntiatur Jugoslawien verlassen. Nachdem das geschehen war und angesichts der Ausschaltung Stepinac' meinte man in Belgrad, nun die wenigen im Amt geduldeten Mitglieder der Hierarchie eingeschüchtert zu haben und für eine Art nationalkirchliches Experiment gewinnen zu können. Im Februar 195 3 berief Tito den Belerader Erzbischof Ujcic, nunmehr den Ranghöchsten des Episkopats, zu sich und schlug ihm und den ihn begleitenden Bischöfen einen Modus vivendi mit dem Staat vor; sichtlich hatten das polnische und das ungarische Muster dabei mitgewirkt. Rom verbot den jugoslawischen Bischöfen, ein Abkommen zu schließen, das in die alleinigen Befugnisse des Heiligen Stuhles eingegriffen hätte. So wurde das Religionsgesetz Anfang Dezember 1953 vom Parlament zu Belgrad angenommen, ohne daß es kirchlicherseits hätte gebilligt werden können.

Die Lage hat sich aber allmählich entspannt. Zu einigen der Bischöfe, die anfangs behelligt, mitunter sogar eingesperrt worden waren, haben sich leidliche Beziehungen eingestellt, so vor allem zu dem in seiner Treue gegenüber Papst und Gesamtkirche untadeligen, ehrwürdigen Belgrader Erzbischof Ujcic, der vor mehreren Monaten in Rom weilte: offenbar, um dort das Terrain für die Aufnahme neuerlicher diplomatischer Beziehungen zwischen dem Vatikan und Belgrad sowie für einen Modus vivendi abzutasten.

Die Person des internierten Agramer Erzbischofs bedeutete dabei ein tragisches Hindernis. Es war undenkbar, daß ihn, den Makellosen, die Kurie zur Resignation aufgefordert oder gar, daß sie ihn im Stich gelassen hätte. Ebenso unmöglich war ein freiwilliger Verzicht des Kardinals. Und die jugoslawische Regierung konnte weder noch wollte sie die Ungerechtigkeit des gegen Stepinac gefällten Urteils eingestehen. Man erfuhr nur, daß sie grundsätzlich bereit war, ihm nach Ablauf seiner Strafzeit, also im Oktober 1962, die Wiederaufnahme seiner oberhirtlichen Funktionen zu erlauben. Dazu sollt es nicht kommen. Die unheilbare Blutkrankheit, an der Msgr. Stepinac litt, konnte nicht eingedämmt werden. Der Kardinal wußte sein Hinscheiden unabwendbar nahe. Er schaute dem Toc ruhig in die Augen. Am 6. Februar 1960 gesellte sich seinem chronischen Leiden eine Lungenentzündung hinzu. Der geschwächte Körper vermochte nicht zu widerstehen. Vier Tage später nachmittags halb drei Uhr, ist Kardinal Stepinac gestorben. An demselben Tag wurde dei Belgrader Erzbischof Ujcic, der nach ihm die Leitung des zusammengeschmolzenen, nur noch 25 Mitglieder zählenden Episkopats innehat, von Tito mit der Ersten Klasse des Verdienstordens ausgezeichnet, aus Anlaß des Eintritts ins neunte Lebensjahrzehnt und für „Bemühungen, die Beziehungen von Kirche und Staat zu regulieren“. Vorboten einer Beilegung oder wenigstens einer dauernden Ausschaltung des ursprünglich gar unkulturellen Kulturkampfes? Jedenfalls Bekräftigung des dazu vorhandenen Wunsches. Ein weiterer Beleg dafür war im Entschluß der Belgrader Regierung zu suchen, die feierliche Beisetzung des Kardinals in der Agramer Kathedrale zu gestatten. So kehrte der Tote an seinen Amtssitz zurück, den er lebend nicht mehr betreten durfte.

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