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„Auf Poesie — Prosa64

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Kaum ein anderer Bischof unserer Tage hat in so großem Ausmaße wie der ukrainisch-katholische Großerzbischof, Kardinal Dr. Josyf Slipyj, am eigenen Leib die großen Umwälzungen in der Gesellschaft und in der Kirche erfahren. „Ich konnte die Bischofswürde nicht zurückweisen“

— schrieb er einmal einem Freund, dem er die Umstände seiner im geheimen am 22. Dezember 1939 erfolgten Bischofsweihe schilderte —, „denn in Zeiten der Verfolgung ist das Bischofsamt keine Ehre, sondern in erster Linie eine Last. Damals, in der Besatzungszeit, habe ich mich abends beim Schlafengehen gefragt, ob ich mich wohl am Morgen noch in Freiheit erheben kann. Und mir kamen die Worte des Propheten Isaias in den Sinn: „Es werden Tage kommen, an denen wir morgens mit Bangen den Abend erwarten und in der Dämmerung zitternd den Morgen.“

Diese Zeilen schrieb Slipyj 1942 — damals noch Koadjutor mit dem Recht der Nachfolge des bereits kränkelnden Lemberger Metropoliten Andreas Szeptyckyj. Als Slipyj am 1. November 1944 die Leitung der Lemberger Metropolie übernahm, dauerte es nicht lange, bis sich die Worte des Propheten im wahrsten Sinne des Wortes erfüllen sollten. Schon am 11. April 1945 kam Metropolit Slipyj mit den übrigen Bischöfen der ukrainisch-katholischen Kirche in Haft, einer Haft, die

— erschieden in ihrer Härte und

Form — bis 1963 andauern sollte. 1946 beschließt eine von Moskau inszenierte „Synode“ die Vereinigung der ukrainisch-katholischen Kirche mit dem Moskauer Patriarchat, wenig später wird Slipyj in Kiew wegen angeblicher Kollaboration mit den Deutschen während des zweiten Weltkrieges zu acht Jahren Zwangsarbeit verurteilt. Drei weitere Verurteilungen folgen, ein „Todesmarsch“ durch Gefängnisse und sibirische Arbeitslager und die vorübergehende relative Erleichterung eines Hausarrestes lösen einander durch lange achtzehn Jahre hindurch ab. Im Februar 1963 wird Slipyj — auf Grund von diplomatischen Verhandlungen zwischen Moskau und dem Heiligen Stuhl — für die Öffentlichkeit überraschend freigelassen. Unter strenger Geheimhaltung wird er von Msgr. Willebrands über Wien in den Westen gebracht. In Rom, seinem nächsten „Exil“, folgen nun Ehrungen auf Ehrungen: 1963 erkennt ihm der Papst den (bis dato noch nie verliehenen, aber im ostkirchlichen Recht vorgesehenen) Titel eines Großerzbischofs zu, 1965 wird ihm der Kardinalspurpur — den er später nie trug — verliehen.

Am Beginn seines priesterlichen Lebens stand ein anderes Bild: Das Bild des forschenden Priestertheologen, der sich unter den Fachleuten seiner Zeit gewandt und originell bewegt. Jahre des Studiums in Innsbruck und Rom formten einen Wissenschaftler, der zu vielen Fragen Kompetentes zu sagen hatte. Als Rektor der — auf seine Initiative gegründeten Theologischen Akademie vom Lemberg machte er sich in der gesamten christlichen Welt einen Namen. Von seiner persönlichen Schaffenskraft jener Zeit zeugen rund 130 Bücher und Schriften, deren thematischer Bogen ungewöhnlich weit gespannt ist.

Heute zeichnet Slipyj ein anderes Priesterbild. Mit der Uberzeugungskraft des eigenen Lebens sagte er einmal zu Theologen, die unmittelbar vor der Priesterweihe standen, folgende erschütternde Sätze: „Man spricht soviel vom vollkommenen Opfer für Christus. Wer poetisch veranlagt ist, kann darüber herrliche Dinge schreiben, und man hört solche poetische Deklinationen auch recht gerne. Wenn es aber ernst wird, wenn auf die Poesie die Prosa folgt, dann sind es nur noch wenige, die das Kreuz Christi auf sich nehmen und ihm nachfolgen. Wenn einer beschimpft, verleumdet, wie ein Räuber und Übeltäter behandelt wird, wenn man ihn anspuckt, schlägt, verlacht, wenn er unter Hunger und Kälte leidet, nur mit Lumpen bedeckt ist und zerrissene Schuhe hat, wenn er sich wochenlang nicht waschen kann und wenn er von allen verlassen ist — dann ist der Augenblick gekommen, ihm zu sagen: „Hic Rhodos, hic salta.“ Ist er jedoch von der Existenz Gottes und Christi fest überzeugt und vertraut er auf die göttliche Vorsehung, dann wird er das alles mit Ruhe ertragen: Denn Gottes Hilfe ist in solchen Fällen wunderbar. Es sei gefährlich — fügte er in seiner Ansprache vor den Weihekandidaten hinzu — ohne diese fundamentale Überzeugung die Priesterweihe empfangen zu wollen. Denn man könne sich als Priester „heute leicht in einer vollkommen atheistischen Umwelt wiederfinden, in der die überwiegende Mehrheit zumindest äußerlich die Existenz Gottes bekämpft, jede Religion leugnet, die Priester als Betrogene und Betrüger, als Nichtstuer und Feinde des Volkes bezeichnet“.

Der Christ weiß, daß das Blut der Märtyrer Keim neuen christlichen Lebens, neuer kirchlicher Blüte ist. Die ukrainische Kirche in ihren angestammten Gebieten nur im „Untergrund“ tätig, hat zahlreiche Blutzeugen hervorgebracht. Von ihrer „einheimischen“ Hierarchie ist Slipyj als einziger seiner Generation mit dem Leben davongekommen. Das Blut der ukrainischen Märtyrer trägt vor allem in der Diaspora Früchte. Diese Diaspora versucht der ukrainische Großerzbischof „in den Griff zu bekommen“ und sie zu reorganisieren. Eines seiner Hauptanliegen ist dabei die Errichtung eines ukrainischkatholischen Patriarchates, ein Projekt, für dessen Realisierung Slipyj seit den Tagen des Konzils wirkt.

„Das Bischofsamt ist vor allem eine Last.“ Diese Last hat der Jubilar wie kaum ein anderer Bischof am eigenen Leib immer wieder erfahren. Zu den exilukrainischen Kritikern gesellten sich in den letzten Monaten Leute, die dem greisen Großerzbischof eine Tat unterstellen wollten, für deren Verweigerung er 18 Jahre Kerker ertrug. Sie sagten ihm nach, er sei gegen den Papst ungehorsam und wolle eine eigene Kirche gründen. Wie sehr diese Kritiker doch diesen Mann verkannten! „Das Bischofsamt ist eine Last.“ Zu dieser Last gehört es auch, gelegen oder ungelegen, die Wahrheit zu sagen. Dies tat Slipyj — stolz und der Schwere seiner Worte wohl bewußt — auf der jüngsten römischen Bischofssynode, als er das Verhalten gegenüber der Ukrainisch-katholischen Kirche in der Heimat anprangerte. Man habe diese Kirche ihrem Schicksal überlassen. Und in Anspielung auf sein eigenes Schicksal fügte der Jubilar hinzu, man habe den Eindruck, daß — wie er sich wörtlich ausdrückte — „unangenehme Zeugen“ der Leiden der Kirche im Osten „jetzt wegen diplomatischer Verhandlungen nicht gerne gesehen“ seien. Trotzdem: Der durch 18 Jahre Haft und Kerker ungebrochene Einsatz Slipyjs verdient Hochachtung und Respekt.

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