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Sorge um den Kardinal

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Die Gläubigen der Erzdiözese Wien, das katholische Volk von Österreich, ja alle Menschen unseres Vaterlandes erleben Tage voll banger Sorge. Auf der Fahrt nach Agram, wo er an dem Begräbnis für Kardinal Stepinac teilnehmen wollte, hatte der Erzbischof von Wien, Kardinal König, einen schweren Autounfall. 14 Kilometer nach Varasdin prallte der Wagen des Kardinals mit hoher Geschwindigkeit beim Überholmanöver auf regennasser Straße gegen einen schweren Lastwagen. Der Chauffeur, Martin Stadler, der seit 30 Jahren dem jeweiligen Erzbischof von Wien treu diente, war auf der Stelle tot. Kardinal König und sein Begleiter, Zeremoniär Dr. Krätzl wurden schwer verletzt. Ein zufällig vorüberfahrender Arzt veranlaßte sofort die Überführung deT beiden Schwerverletzten ins Krankenhaus nach Varasdin. Inzwischen wartete man in Agram auf das Eintreffen des Kardinals, der die Trauerzeremonie für Kardinal Stepinac leiten sollte. Aber der Thronsessel in der Kathedrale blieb leer. Die jugoslawischen ÄTZte und Schwestern sind aufopfernd um die beiden Schwerverletzten bemüht. Der Wiener Gehirnchirurg Prof. Kraus, der mit einem Hubschrauber des Bundesheeres an die Grenze geflogen worden war, wurde von den jugoslawischen Behörden ohne jedwede Visa- oder Zollformalitäten sofort nach Varasdin geleitet. Die letzten Nachrichten sprechen von einer laufenden Besserung im Befinden des Kardinals und seines Begleiters, wenngleich bei der Schwere der Verletzungen noch nicht jede Gefahr gebannt erscheint. Man hofft, beide gegen Ende der Woche mit einem Hubschrauber nach Wien transportieren zu können.

Die Nachricht vom Unfall des Kardinals hatte sich wie ein Lauffeuer durch die Stadt verbreitet. Ganz Wien, ganz Österreich schien nur eine Sorge zu haben: das Leben des Kardinals, nur eine Hoffnung, daß der Bischof und sein Begleiter von den schweren Verletzungen genesen. Wenn es noch eines Beweises bedurft hätte, wie sehr der Kardinal, der vor vier Jahren den Wienern noch unbekannt war, im Herzen des Volkes verankert ist, wie sehr die Menschen weit über den Kreis des Kirchenvolkes hinaus an ihm hängen, dieser tragische Unfall hätte diesen Beweis geliefert. Mit seinem Namen verbindet sich ein neuer Abschnitt in der Geschichte der katholischen Kirche Österreichs, ein neuer Abschnitt in den Beziehungen zwischen Kirche, Staat und den politischen Faktoren. Der Mann von der Straße weiß im einzelnen gewiß nicht Bescheid über Möglichkeiten und Schwierigkeiten dieses neuen Weges. Er hat aber das Empfinden, daß sich hier ein Bischof als ObeT-hirt aller Gläubigen fühlt, wo immer diese auch stehen. Es ist verständlich, daß dem, der einen neuen Weg beschreitet, es nicht immer leicht gemacht wird. Wer immer aber in der Vergangenheit das Wirken und Wollen des Kardinals in den Dunstkreis des Zweifels ziehen wollte, er muß hier, bei diesem gewaltigen Vertrauensbekenntnis, das freilich auch ein Bekenntnis der Sorge und des Hoffens ist, erkennen: Dieser Bischof hat wahrhaftig die Herzen der Gläubigen, die Herzen des Volkes für sich.

Heute können wir nichts anderes als hoffen und bangen und beten für ihn. Wenn er aber wieder geheilt und gesund in unserer Mitte weilen wird — es kann freilich Monate dauern —, dann wollen wir, das Volk von Wien, ihm seine Liebe und seine Treue, dessen sind wir sicher, in einmaliger Art kundtun.

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