Der Seelen-Friedensstifter

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Vom Abschied Kardinal Königs - und der Sehnsucht nach Vorbildern.

Sein letztes Lebenszeichen war Freude. "Schön, schön" sagte der greise Mann, als er hörte, wer um sein Bett versammelt war. Im Sterben - und schon zuvor, in den Tagen des Abschiednehmens - blieb Kardinal Franz König ganz authentisch: dankbar, gläubig, bescheiden.

Und jene, die - fast bis zuletzt - bei ihm waren, repräsentierten die Kreise seines Lebens:

Christoph Schönborn, der Kardinal - und mit ihm seine Kirche.

Michael Staikos, der orthodoxe Metropolit - und mit ihm die Ökumene.

Annemarie Fenzl, seine Büroleiterin und "gute Fee", und ihre Familie - und mit ihr so vieles, was diesen großen Mann ausgezeichnet hatte: Bodenhaftung und Wachheit vor allem - auch als der Körper schon an seine Grenzen kam.

Und seine vietnamesischen "Patenkinder", die er einst als Flüchtlinge im erzbischöflichen Palais aufgenommen und ins Leben begleitet hatte - stellvertretend für Zehntausende Menschen, denen er Gutes getan hatte.

Sein Sterben war friedlich. Im 99. Jahr war das Herz müde geworden, nicht aber sein Geist. Am Leben teilzuhaben, die Erwartungen der Menschen nicht zu enttäuschen: das hielt ihn bis zuletzt unter Spannung - und überforderte ihn zugleich.

Das Abschiednehmen hat ihn nicht überrascht, er war darauf vorbereitet. Mit der Sicherheit seines Glaubens, in Gottes Hand zu sein, blickte er dem "Heimgang" ruhig entgegen. Aber auch mit einem Gefühl der Erwartung dessen, "was kein Auge je gesehen und kein Ohr je gehört hat".

Glaube und Wissen

Was Kardinal König seiner Kirche, seinem Land und seiner Zeit geschenkt hat, ist längst gesagt. Das Urteil der Geschichte über ihn war - wie bei wenigen Menschen - schon zu Lebzeiten festgeschrieben. Die Hochachtung und Liebe, die ihm zuströmten, hat er in Kraft umgesetzt und bis zuletzt auf tausend Wegen zurückzugegeben versucht.

Wer das Glück hatte, Franz König auf dieser letzten Etappe seines Weges nahe zu sein, erlebte einen Menschen, der mehr wollte, als nur eine beschauliche Gnadenfrist in der untergehenden Sonne. Sehr bewusst wollte der alte Mann auch diesem Schlusskapitel einen Sinn und Inhalt geben und sich nicht fallen lassen - bestärkt durch die erstaunliche Genesung nach seinem Unfall und der schweren Operation im Vorjahr. Mehr noch als zuvor galt seine Aufmerksamkeit jetzt dem, wozu er durch Glaube, Wissen und Alter befähigt war: Das Bleibende wollte er vom Vergänglichen scheiden und die vollen Scheunen seiner Erinnerung sichten. Nicht aus Sehnsucht nach vergangener Größe, sondern um das aufzuspüren, was zu bewahren ist.

Er war zuletzt - in einem nur vordergründigen Widerspruch - noch gütiger, verständnisvoller und in seinen Urteilen noch deutlicher, freier geworden. Was jetzt zu tun wäre in Kirche und Welt - das war sein großes Thema. Vieles berührte ihn: der Verlust des Heiligen in unserer Zeit; die Auflösung der Familien; die wachsende Unsicherheit darüber, wo menschliches Leben beginnt und endet; das Misstrauen zwischen Konfessionen und Religionen; die Frustration so vieler Frauen am Weg der Kirche; die Aushöhlung des Sonntags, der ihm nicht nur "Tag des Herrn" sondern auch "Tag der Menschen" war; die Zukunft des Papst-Amtes.

Den Aufbruch in ein neues Europa und die Überwindung alter Zwangssysteme im Osten noch zu erleben, empfand er als Gnade. Und doch wusste er, dass jede Demokratie letztlich von einem Werte-Fundus lebt, den sie selbst nicht schaffen kann. Wer aber, so fragte Franz König, wird diesem einst christlich geprägten Europa in Zukunft Orientierung, Halt und Identität geben können?

Die Gewissenhaftigkeit seines Versuchs, Probleme zu benennen und Lösungen zu erkunden, war gerade in diesen letzten Lebensmonaten verblüffend. Die Methodik seines Denkens aber war ihm schon in den vielen Jahrzehnten vorher zugewachsen: Franz König bleibt als einer aus jener raren Spezies im Gedächtnis, die nicht nur zuhören sondern auch verstehen wollen. In jedem, der ihm begegnete - gebildet, prominent oder nicht -, erkannte er ein Abbild Gottes. Und von jedem erhoffte er sich ein neues, spannendes Stück Wahrheit.

Freunde und Weggenossen, die kamen, um ihn zu hören, fanden sich - von ihm behutsam gelenkt - bald in der Rolle des Erzählers. Fast unbegrenzt sein Wissensdurst bis tief in Gesetze der Physik, der Bionik, der Genetik. Erst ganz zuletzt unterlag sein Drang, immer Neues lernen und für sich ordnen zu wollen, der wachsenden Begrenztheit des Körperlichen, die ihm bisweilen die Augen zudrückte.

Mehr und mehr reduzierte sich die Welt des Franz König, die einmal den ganzen Globus und einen weiten Horizont des Wissens umspannt hatte, auf seine ungebrochene Leidenschaft für das geschriebene Wort, seine stille Frömmigkeit, seine Freude über Besucher - und sein Telefon, das ihn in guten Stunden mit vielen Menschen des Wissens und des Glaubens verband. Sein alter Traum, die drei großen Triebkräfte unserer Zeit - die Wissenschaft, die Religionen und die Medien - mehr aufeinander einwirken und aneinander erproben zu lassen, blieb bis zuletzt lebendig.

Unaufdringliche Herzenswärme

Franz König hat viele große, aber auch ernüchternde Stunden erlebt. Das "Leiden an der Kirche" war ihm nicht fremd geblieben. Und doch: Kaum jemand, der ihn kannte, hat je ein Wort der Verärgerung gehört oder eine Spur von Verbitterung an ihm entdeckt. Dem Risiko, anderen Vertrauen zu schenken und sie gewähren zu lassen, blieb er trotz mancher Enttäuschung ein Leben lang treu. Er liebte die Fröhlichkeit junger Kirchen in Afrika und Asien, er sah hinter jeder Wolke den Schein eines neuen Lichts - und wurde so wie kein Zweiter ein "Seelen-Friedensstifter". Millionen Menschen - nicht nur in unserem Land - haben gerade diese unaufdringliche Herzenswärme gespürt.

Die tiefe Trauer um den großen Verstorbenen könnte die österreichische Kirche zu falschen Hoffnungen verleiten. In ihr spiegelt sich keine Rückkehr des Religiösen in unsere Gesellschaft wider. Als "pater patriae", Vater der Nation, war und bleibt Franz König ein Ausnahmefall, ein Segen für Österreich - als "guter Hirte", als Christ und Mensch.

Durch sein langes, beispielhaftes Leben und seine Ausstrahlung hat er uns gezeigt, wie sehr sich auch unsere Zeit nach glaubhaften Vorbildern sehnt - keineswegs nur in der Kirche, sondern auch in Politik und Gesellschaft. Wo sind sie? Wer spürt sie noch auf? Und wer rückt sie ins Licht der Öffentlichkeit?

Die Menschen warten darauf, dass der Platz, den sie Franz König in ihren Herzen eingeräumt haben, nicht verloren geht. Neue Vorbilder werden an seine Seite treten müssen.

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