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Geschäfte mit der Kirche?

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Am 9. Dezember 1959 begann vor einem Wiener Schöffensenat der Prozeß gegen Josef Wimmer, der angeklagt war, mehr als 16 Millionen Schilling der Finanzkammer der Erzdiözese Wien und 600.000 Schilling der Oesterreichischen Bischofskonferenz veruntreut zu haben. Mitangeklagt waren der ehemalige Rechtsberater der Erzdiözese Wien, Dr. Josef Schmid, der beschuldigt wurde, von den Veruntreuungen Wimmers gewußt und selbst 300.000 Schilling unterschlagen zu haben, ferner Adolf Swoboda, ehemals SS-Mann, ehemals KZ-Häftling, ehemals Mitbesitzer einer Backofenfabrik, ehemals Herausgeber einer Wochenzeitung von sehr zweifelhaftem Ruf, ehemals verurteilt wegen Finanzierung einer Einbrecherbande, nunmehr aber vorzeitig aus der Strafhaft entlassen. Er wurde beschuldigt, ebenfalls von den Unterschlagungen Wimmers gewußt zu haben und von ihm Geld, mehr als 600.000 Schilling, erhalten zu haben. Hölzl wurde in diesem Prozeß nur als Zeuge geführt, er wird sich später, da für ihn die Causa Wimmer nur ein Fall unter vielen ist, der ihm zur Last gelegt wird — er hat von Wimmer mehr als neun Millionen Schilling erhalten —, in einem eigenen Prozeß zu verantworten haben.

Nach zehntägiger Verhandlung wurde am 21. Dezember das Urteil gefällt. Der voll geständige Wimmer erhielt sieben Jahre Kerker. Die Mitangeklagten Dr. Schmid und Swoboda, die jede Schuld in Abrede gestellt hatten, wurden mangels an Beweisen freigesprochen. Der Verteidiger Wimmers berief wegen zu hohen Strafausmaßes, der Staatsanwalt erhob wegen der Freisprüche die Nichtigkeitsbeschwerde. Der Oberste Gerichtshof wird sich daher nochmals mit der Materie zu befassen haben.

Sofort nach der Urteilsverkündung hat Erz-bischof Kardinal König eine Erklärung veröffentlicht, in der er zu dem Fall Stellung nimmt. In der Erklärung des Kardinals heißt es: „Der Erzdiözese Wien — und nur-um diese han-delt es sich — wurde ein ungeheurer Schaden^ nicht nur in materieller Hinsicht, zugefügt. Ich habe nichts zu beschönigen und niemand, der schuldig geworden ist, zu decken. Wo ein Uebelstand ist, soll er mit Namen genannt werden, mit jenem christlichen Freimut, der nicht die Welt, sondern Gott fürchtet. Wo ein Uebelstand ist, soll er aber auch ausgemerzt werden. Er und der Geist, aus dem er entsprungen ist.“

Ungeheurer Schaden, nicht nur in materieller Hinsicht! Im Mai 1956 war Dr. König zum Erz-bischof von Wien ernannt worden. In den dreieinhalb Jahren, in denen der Kardinal nunmehr dieser Diözese vorsteht, mag er manches Schwere und manches Bittere mitgemacht haben. Der Tag aber, an dem er von den Unterschlagungen Kenntnis erhielt, die Wochen und Monate, in denen er durch eine interne kirch-' liehe Untersuchung vom Umfang und dem Personenkreis, die in irgendeiner Form hineinspielten, erfuhr, und schließlich die Tage des Prozesses selbst, werden wohl zu den bittersten Erlebnissen des Kardinals gezählt haben. Es hat den Anschein, als ob dieser Prozeß die Oesterreicher und vor allem die Wiener mehr erregt hat als irgendein Prozeß nach 1945. Im Vordergrund stand die Erschütterung Hundert-täusender treuer und lauterer Katholiken, denen die Kirche, ob sie sich 'nun ganz oder lose zu ihr bekennen, doch jener moralische Felsen war, der bei allen Auflösungserscheinungen, bei aller Fragwürdigkeit unseres Lebens unerschütterlich bleiben muß, der Leuchtturm, von dem man wußte, daß er da war und daß er den richtigen Weg wies, auch wenn man sich nicht immer nach ihm orientierte. „Rede da von Sensationsmache, wer will“, heißt es in einem Pressekommentar nach dem Prozeß, „irgend etwas muß in diesem Oesterreich noch integer bleiben!“ Daß dieser Prozeß solches Aufsehen erregte, daß das Volk ihn nicht hinnahm wie einen der vielen Korruptionsprozesse, das beweist doch, was dieses Volk, auch das laue Christenvolk unserer Tage, noch immer von der Kirche erwartet.

Die Kirche selbst hatte nichts zu beschönigen. Die Medizin war bitter, sie kann nur heilsam werden, wenn sie geschluckt wird. Wo der Uebelstand bei der Kirche lag, wurde er mit Namen genannt. Wer schuldig war, wurde nicht gedeckt.

Wer war schuldig?

Der Oberbuchhalter Wimmer war voll geständig, die 16 Millionen Schilling unterschlagen zu haben. Unterschlagungen können immer und überall vorkommen. Keine noch so genaue Kontrolle kann eine absolute Sicherheit bieten. Hier aber hat ein Mann unterschlagen, der sich nicht selbst bereichern wollte. Er hat von den 16 Millionen keine 10 Schilling für sich verbraucht. Das Urteil über ihn war hart. Defraudanten können kaum mit dem Mitleid des Auditoriums rechnen. Nach dem strengen Urteil änderte sich diese Einstellung. Soll Wimmer wirklich der Fußabstreifer sein, wie der Staatsanwalt sagte, an dem sich alle ihre schmutzigen Schuhe abputzen? Gewiß, er war von Uebel. Dieses Uebel ist ausgemerzt. Aber nicht nur der Uebelstand, auch der Geist, aus dem er entsprungen ist, soll ausgemerzt werden, heißt es in der Erklärung des Erzbischofs.

Es begann mit einem Geschäft, mit einem Geschäft mit der Kirche. Da war ein Herr Franz Hammer, der nach dem Krieg nach Wien gekommen war, ein Freund der studentischen Jugend, bei der er als „Onkel Franz“ eine offene Hand bewies. Er legte Wert darauf, als eifriger Kirchenbesucher bekannt zu sein, und als Freund der Kirche wollte er dem Stephansdom helfen.Er hatte einen Plan. Das war 1952. Zwei Millionen Rasierklingen — Hammer war Generalrepräsentant eines Rasierklingenwerkes — sollten in die Schweiz exportiert und dort von der katholischen Jugend mit einem Aufschlag zugunsten des Wiederaufbaues des Stephansdomes verkauft werden. Vorerst aber brauchte er Geld zur Vorfinanzierung dieses Geschäftes. Einige hunderttausend Schilling. Der Wiener Kirchen-bauverein übernahm die Haftung. Aus dem Geschäft wurde nichts. Hammer verschwand mit dem Geld, auch mit jenem, das er sich in der Schweiz für die Rasierklingen bereits hatte bezahlen lassen, und wurde nicht mehr gesehen. Nun waren das Geld und die Rasierklingen weg und der Wiener Kirchenbauverein drängte darauf, aus der Haftung entlassen zu werden. Und da griff Wimmer zum erstenmal in die Kirchenkasse, um den Verlust zu decken. Und um dieses Geld wiedergutzumachen, ließ er sich in immer waghalsigere Geschäfte ein. Geschäfte hatte er schon früher gemeinsam mit Doktor Schmid gemacht, Privatgeschäfte. Es'war das Geld seiner Bekannten, aber auch von Geistlichen, das er zu hohen Zinsen anzulegen versprach. Und da er kleine Geschäfte machte und wahrscheinlich für seine Kunden nicht schlechte, so wagte er sich auch an größere, getrieben von der Furcht, sein, erster Griff in die Kasse könnte entdeckt werden. Und da kam es, wie es kommen mußte. Die Geier witterten das Aas. Hier brauchte jemand Geld, und um zu Geld zu kommen, gab er Geld gegen immer fadenscheinigere Zusicherungen. Und er schlitterte immer tiefer und tiefer hinein und sah keinen Ausweg. Die Aufdeckung seiner Unterschlagungen mag für ihn wie eine Befreiung gewesen sein.

Der Schaden, den die Kirche erlitten hatte, war — um jetzt nur vom materiellen zu reden — gewaltig. Er trifft keinen Armen, die Kirche hätte die 16 Millionen verschmerzt und keine Anzeige erstattet, meinen die Hämischen. Er trifft uns alle. 16 Millionen, das war mehr als zwei Monatsbudgets der Erzdiözese, das war mehr, als drei neue Kirchen kosten. Die Erzdiözese hat, wie der Kardinal in seiner Erklärung hinwies, für 1400 Angestellte, Laien und Priester zu sorgen, für die Erhaltung von 1500 Gebäuden, für den Neubau von Kirchen und Heimen, für die Aufgaben der Caritas. Wie bei allen großen Institutionen müssen die Erfordernisse für drei Monate in Reserve gehalten werden. Wimmer hat durch Anlegung fingierter Konten und durch laufende Umbuchungen Jahre hindurch seine Unterschlagungen verschleiern können.

Und wie war das mit der Kontrolle? Der Kardinal verweist in seiner Erklärung auf die Umstände, die 1939 zur Einführung der Kirchenbeiträge führten, zum improvisierten Aufbau der Finanzkammer ohne jedes Vorbild. Man glaubte, auf kostspielige Kontrollen verzichten zu können, und setzte volles Vertrauen in die Angestellten. Die ungenügenden Kontrollen und die mangelnde Kompetenzabgrenzung, heißt es in der Erklärung des Kardinals, trugen im wesentlichen die Schuld, daß die Unterschlagungen durch längere Zeit unentdeckt bleiben konnten. Soweit als nur möglich, werden diese Mängel nunmehr abgestellt. Der Kardinal hat eine personelle und organisatorische Umgestaltung der Finanzkammer angekündigt. Der Diözesan-kirchenrat als Vertreter der Kirchenbeitragsmit dem elastischen Prämicniyil zahler soll die Funktion eines obersten kirchlichen Rechnungshofes für die Erzdiözese Wien ausüben, der durch einen unabhängigen Buchsachverständigen laufend die gesamte Gebarung der Finanzkammer, aber auch aller Einrichtungen, die Kirchengelder verwenden, überprüft. Die Gebarung der Finanzkammer soll zur öffentlichen Einsichtnahme aufgelegt werden.

Die Konsequenzen, die in personeller Hinsicht gezogen werden mußten, auch wenn sie manchen persönlich Unschuldigen treffen mögen, werden gezogen. Die technischen Vorkehrungen, damit das, was war, nicht mehr kommen kann, sind getroffen worden. Der Uebelstand wird ausgemerzt. Nicht minder notwendig aber ist es, heißt es in der Erklärung des Kardinals, den Geist auszumerzen, aus dem er entsprungen ist. Hunderttausende Katholiken, Priester und Laien, die in diesen Tagen manches erdulden mußten, haben mit der ganzen Angelegenheit nichts zu tun. Aber auch nicht mit dem Geist, aus dem dies Uebel kam. Der Kardinal spricht von „verbrecherischem Wahn und Irrglauben, mit der Kirche Geschäfte machen zu können“. In der Begründung des Freispruches der beiden Mitangeklagten ist der bitterste Schlag enthalten, der die Kirche treffen konnte. Natürlich hätten sie gewußt, sagten die Swoboda und Hölzl, daß die Hunderttausende und Millionen, die sie von Wimmer erhalten hatten, nicht dessen privates Geld war, natürlich nahmen sie an, daß es Gelder der Kirche seien. Aber sie seien der Meinung gewesen, die Kirche wolle eben Geschäfte machen und Wimmer sei berechtigt, im Namen der Kirche solche Geschäfte zu machen. Von Unterschlagungen hätten sie nichts gewußt. Warum sollte in einer Zeit, in der mit allem und jedem Geschäfte gemacht werden, nicht auch mit der Kirche Geschäfte gemacht werden? Sei das nicht ein moderner Zug an der Kirche? Und diese Verantwortung konnte nicht widerlegt werden.

Das ist die bitterste, hoffentlich aber auch die heilsamste Lehre aus dem Prozeß. Unterschlagungen können überall vorkommen, Kontrollen können mangelhaft sein. Wenn aber „mit der Visitenkarte der Kirche die Reputation der Kirche zu Markt getragen wird“, wie es Erzbischöf-Koadjutor Dr. Jachym in seiner Aussage vor Gericht in aller Schärfe formulierte, wenn ein merkantiler Geist übler Art auch von der Kirche Besitz ergreift, so würde dies bei weit Schlimmerem enden als bei einem Prozeß um sechzehn unterschlagene Millionen. Das Geschäft ist die große Versuchung unserer Zeit. Die Versuchungen der Zeit sind auch die Versuchungen der Kirche. Gegen diese Versuchungen wird sie ankämpfen.

Kann man mit der Kirche Geschäfte machen? Man kann es nicht. Solche Geschäfte gehen schlecht aus, für die Kirche, aber auch für den, der sie mit der Kirche oder für die Kirche machen zu können glaubt. Die Kirche hat sich aus dem politischen Geschäft gelöst. Auch da gab es und gibt es Verstimmungen. Sie wird sich nicht auf ein merkantiles Geschäft einlassen, mit den Swobodas und Hölzls nicht, aber auch nicht mit seriöseren Geschäftspartnern, die sich eventuell anbieten sollten. Die Kirche ist in diesem Sinn kein guter Geschäftspartner.

Mitten in der Zeit stehend, so schließt die Erklärung des Kardinals, dem Bösen, allen Infektionen unserer materialistischen Zeit ausgeliefert, ist es die Aufgabe der Kirche, weiterhin inmitten des Wandelbaren und Vergänglichen das Ewige zu verkünden.

Damit ist alles gesagt, was über diesen Prozeß gesagt sein muß.

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