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DAS WORT DES KARDINALS

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Der Erzbischof von Wien, Kardinal König, konnte an einer Reihe öffentlicher Kundgebungen aus Anlaß des fünften Jahrestages des Staatsvertrages nicht teilnehmen, da die Nachbehandlung“ nach seinem Unfall doch länger dauert, als ursprünglich angenommen wurde. Er hat über die „Kathpreß“ eine Erklärung zum 15. Mai veröffentlicht, in der es eingangs heißt, es wäre ihm ein Bedürfnis gewesen, durch seine Teilnahme an den Kundgebungen zu dokumentieren, daß die Kirche so wie die traurigen auch die freudigen Stunden des österreichischen Volkes miterlebe.

Die österreichische Öffentlichkeit hat diese Erklärung des Kardinals mit der ihr gebührenden Aufmerksamkeit zur Kenntnis genommen. Die österreichischen Katholiken im besonderen können dem Kardinal Dank sagen dafür, daß er zu einem Gedenktag denkwürdige Worte gefunden hat. Gerade in einer Zeit, in der die Verwirrung der Geister auch nicht vor dem katholischen Volk halt macht und in der vieles, was hier in Österreich geschieht, manchem von uns den wirklichen Gewinn aus der bitteren Leidenszeit, die wir durchmachten, fragwürdig erscheinen läßt, sind klare Worte aus dem Munde der Kirche notwendig. Mit dieser Erklärung des Kardinals bekennt sich die Kirche zu diesem Staat und zu diesem Volk. Sie bekennt sich zu seinen Leiden, zu seinen Kämpfen und zu seinen Erfolgen. Das liegt gewiß in der Entwicklung seit 1945 und mag uns heute als eine Selbstverständlichkeit erscheinen, war aber nicht immer so. Auch die Kirche in Österreich hat wie viele Österreicher nach 1918 nach der Zerstörung des großen alten Reiches kein rechtes Verhältnis zu diesem Staat, zu dieser Republik Österreich gefunden. Zu stark waren noch die mentalen Verbindungen an eine Vergangenheit, die um so mehr in einem verklärenden Licht gesehen wurde, als die Gegenwart düster, trüb und ausweglos schien.

Die Erklärung des Kardinals würdigt die Leistung der Männer seit 1945, die an der Spitze dieses Staates standen. Sie würdigt den Opfermut aller Stände, durch den allein die Freiheit in diesem Land erhalten geblieben ist. Die Er-!kiärtfrig'd%:a?ainals sp?f&t'irn ffl&rMVn dem Opfermut der Arbeiterschaft, der in diesen itteejjeo,; Situationen demiüstörneiehhchmiYolk die Freiheit sicherte, in einer Zeit, da die österreichische Regierung fast keine Machtmittel besaß, da fremde Truppen das Land besetzt hielten und nur durch die Treue des Volkes, im besonderen der Arbeiterschaft, Österreich das Schicksal seiner Nachbarn erspart geblieben ist. Das Bekenntnis zur Zusammenarbeit und zum inneren Frieden erhält seinen besonderen Akzent in einer Zeit, in der die praktischen Ergebnisse der Zusammenarbeit immer dürftiger werden und in der der innere Frieden vom Machtdenken der Interessentengruppen überschattet wird. Wenn in Zukunft einmal die Geschichte der Zweiten Republik geschrieben wird und die Rolle, die die Kirche darin spielte, dann wird diese Erklärung des Kardinals und Erzbischofs von Wien gewiß als ein Dokument angesehen werden.

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