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Einst — und heute?

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(Volkstheater in den Außenbezirken, Wien; „Nathan der Weise“ von Gotthold Ephraim Lessing) Wien durfte das 1779 entstandene Werk erst 30 Jahre später sehen, und auch dann nur in total verhunzter Form, denn die Zensur verbot jede Gleichstellung „der verschiedenen Gottesdienste“.

Und das brüderliche Nebeneinander der Religionen im gemeinsamen Bestreben, dem jeweiligen eigenen Anspruch am besten gerecht zu werden — das war ja die Botschaft Lessings im „Nathan“.

200 Jahre nach Lessings Tod stören den Kritiker einer großen Wiener Zeitung am „Nathan“ die „ehrenwerten Stelzen“, das „wohlmeinende Schmalz“, die „treudeutsche Treuherzigkeit“ …

Gewiß, Lessings „Nathan“ war Feinden der Toleranz stets ein Dorn im Auge. Die Aversion, die sich in den oben zitierten Stilblüten Luft macht, dürfte aber eher in dem Tabu wurzeln, das heute schreibende Autoren daran hindert, den miesen Zuständen mit positiven Vorbildern entgegenzutreten statt mit der Darstellung der Wirklichkeit in ihrer ganzen Häßlichkeit.

Wer besonders fesch sein will, mißt halt auch die Klassiker an dieser heute geltenden Elle. Wir anderen aber, die wir den Nathan lieben, weil er idealtypisch das Gute in der Literatur verkörpert, fragen uns, warum eigentlich heute unglaubhaft wirken muß, was uns aus der Feder des Klassikers so unmittelbar zu Herzen geht, warum man heute nicht gegen die Intoleranz losziehen kann, indem man ihr Gegenteil zeigt, warum man ihr heute nur ihr eigenes Basiliskenbild entgegenhalten kann.

Das ist Stoff zum Nachdenken. Ist unsere Scheu, Leitbilder zu schaffen und, wenn sie von heute sind, zu akzeptieren, berechtigt? Oder haben wir uns in ein Vorurteil verrannt? Ich weiß nur, daß der „Nathan“ wie der Abglanz einer heilen Welt auf mich wirkt, in der man wenigstens noch an die Möglichkeit des Guten im Menschen glauben durfte.

Darum wohl schätze ich vor allem unprätentiöse, einfache „Na- than“-Aufführungen. Eine solche gelang Oskar Willner (Regie). Ernst Meister ist ein guter, braver Nathan, auch wenn er etwas zu glatt vom Tod seiner Familie erzählt und überhaupt manches zu glatt wirkt an diesem Abend.

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