Wahrheitssuche in Jerusalem

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Ein zwiespältiger "Nathan der Weise" am Burgtheater: ohne Gegenwartsbezug, streckenweise langweilig, und die Schauspieler überzeugen nur teilweise.

Gotthold Ephraim Lessings "Nathan der Weise" ist ein grandioses Stück, kunstvoll konstruiert, um seine Hauptaussagen zu unterstreichen: Alle Menschen sind Kinder eines Vaters und aufgerufen, einander zu achten. Die Praxis der Liebe führt zum Heil, nicht das Bekenntnis zu Lehrsätzen. Diese Botschaft sollte auch bei der jüngsten, mäßig überzeugenden Burgtheater-Inszenierung einigermaßen über die Rampe gekommen sein.

Es geht um die Wahrheit, nach der in Jerusalem schon ein gewisser Pontius Pilatus gefragt hat. Am gleichen Ort konfrontiert zur Zeit der Kreuzzüge Sultan Saladin, der muslimische Herrscher der Stadt, den reichen Juden Nathan mit der Frage nach der wahren Religion. Und Nathan serviert ihm die berühmte Ringparabel: Es sollte einen einzigen kostbaren Ring als Familienerbe geben, doch plötzlich gibt es drei, die nicht voneinander zu unterscheiden sind. Welcher der echte ist, werde sich erst in ferner Zukunft weisen. Bis dahin sollten alle Träger der Ringe sich bemühen, das an den Tag zu fördern, wozu der echte Ring befähigen soll: beliebt zu sein, vor Gott und Menschen angenehm.

Fast wie in einem Krimi enthüllt das Drama Stück für Stück auch die Wahrheit um die Verwandtschaft der Hauptfiguren, die in verschiedenen Religionen aufgewachsen sind. Der weise Nathan, als einziger nicht blutsverwandt mit den anderen, hat da in dieser Inszenierung die Bühne schon verlassen. Doch er gehört als Ziehvater der jungen Recha dazu, wie Lessings Text betont: "Das Blut allein macht lange noch den Vater nicht."

Die Arbeit von Regisseur Lukas Hemleb hält sich ganz an den Text, vermeidet jede Spur von Regietheater oder Gegenwartsbezug und ist daher nicht von "itzt", um in der Diktion des Stückes zu bleiben. Die Bühne von Jane Joyet, dominiert von hohen Mauern und säulenartigen Palmenstämmen, beeindruckt nicht, lenkt aber auch nicht ab. Was immer wieder Langeweile aufkommen lässt, sind etliche eher spannungslos gestaltete Szenen und eine Vielzahl von Umbauten bei geschlossenem Vorhang, teilweise mit sonderbaren Begleittönen.

So liegt die Entscheidung über das Gelingen letztlich beim hochkarätigen Ensemble. Als Nathan zwinkert sich Klaus Maria Brandauer, gewitzt, aber nicht gereift wirkend, durch den Abend. Sein Gebetsschal hängt so beiläufig herunter, wie er die Ringparabel herunterleiert. Den Mann, der auch nach der Ermordung seiner Familie ein gläubiges "Und doch ist Gott!" verspürte, nimmt man ihm nicht ab, eher den Star, der den Nathan eigenwillig anlegen will und in Wahrheit meist neben seiner Rolle steht.

Wolfgang Michael gibt den ständig nervös herumzappelnden Sultan als Karikatur und wird in seiner näselnden Sprechweise auch im Stück karikiert. Als seine Schwester Sittah strahlt Sylvie Rohrer jene Ruhe aus, die ihm fehlt. Mareike Sedl (Recha) und Dietmar König (Tempelherr) bringen die richtige jugendliche Dynamik ein. Barbara Petritsch (Daja) lässt geschickt die ambivalente Beziehung zu ihrem Dienstgeber Nathan spüren. Als frommer Eiferer steigt mit perfekter Sprechtechnik Peter Matic (Patriarch) von seinem Turm, während Klaus Pohl (Derwisch) und Roland Kenda (Klosterbruder) in ihren Suaden nicht immer verständlich sind.

Viel Applaus, aber auch einzelne Buhrufe für Hemleb und Brandauer, vom Premierenpublikum.

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