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Exerzierfeld für das Demokratieverständnis

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Daß Schülerzeitungen existieren, ist ein kleines Wunder. Sie leben von niedrigen Verkaufserlösen, wenigen Inseraten und - das gibt es noch - ohne Subventionen. Gleichzeitig sind sie ein Beweis dafür, daß Jugendliche noch Ideale haben, denn die Schüler, die für andere Schüler Zeitungen machen, tun es ohne Honorar.

Die rund hundert Schülerzeitungen in Österreich entspringen dem Be- dürfhis, zu informieren, Anregungen zu geben, aber auch - manchmal recht hart - zu kritisieren, Sie gollen „das Demokratieverständnis und das Gerechtigkeitsgefühl fördern”, meint einer der neun jungen Redakteure aus allen Bundesländern, die der Informationsdienst für Bildungspolitik und Forschung” (IBF) eine Woche lang anläßlich des Nationalfeiertages unter seine Fittiche genommen hatte. Dieser stand heuer unter dem Motto „Massenmedien - Politische Bildung”. Fünf anstrengende Tage hindurch lernten die Schülerzeitungsredakteure, daß Journalismus nicht nur Angriff, sondern vor allem Information ist, daß ihre persönliche Meinung und ihre Kritik der Information zwar folgen sollen, sie aber nie ersetzen dürfen.

In erster Linie Sind die Schülerzeitungen Ventile gegen Lehrer und Mißstände an den Schulen, denn mit .Schulproblemen befassen sich die großen Schwestern, die Tages- und Wo chenzeitungen, nur sehr selten. Wenn auch die interne Schulsituation im Mittelpunkt jeder Schülerzeitung steht, so beschäftigen sich doch alle darüber hinaus mit allgemeinen Jugendproblemen in verschiedenen Bereichen. Nur die Politik kommt zu kurz. Dabei könnte den Schülerzeitungen im Hinblick auf die politische Bildung, die in absehbarer Zeit als Unterrichtsprinzip an den österreicni- schen Schulen eingeführt werden soll, große Bedeutung zukommen.

Woher kommt das? Einerseits liegt es am mangelnden Interesse der meisten Schüler, die politische Themen ablehnen und lieber „etwas anderes” lesen wollen. Die wenigen politisch engagierten Schülerzeitungen werden allerdings auch weit über den eigenen Schulbereich hinaus gelesen.

Der zweite Grund wird von den Schülerzeitungsredakteuren schlicht und einfach mit „Zensur” angegeben. Jede Schülerzeitung muß vor Erscheinen der Direktion vorgelegt werden. Je weniger politisch die Themen, desto weniger Probleme - von unfairen Lehrerbeschimpfungen abgesehen. Das kam nicht nur im Gespräch mit den neun vom IBF eingeladenen Redakteuren, sondern auch schon früher bei einer Diskussion mit Wiener Kollegen zum Ausdruck, die noch vor dem Sommer in Tulln stattgefunden hatten.

Überhaupt sind die Probleme der Schülerzeitungen in Wien und in den Bundesländern dieselben, obwohl von der österreichischen Gesamtauflage von etwa 90.000 Exemplaren mehr als ein Drittel auf Wien entfallt. Von der ungünstigen finanziellen Situation, den Schwierigkeiten mit Lehrern und Direktoren und der unpolitischen Haltung der Schüler abgesehen, kämpfen alle Schülerzeitungen, die sich doch als „Lernprozeß in Demokratie” bezeichnen, eher erfolglos gegen die fehlende Mitarbeit und das mangelnde Engagement der Schüler an. Wie in der hohen Politik und in allen gesellschaftlichen Bereichen ist es auch hier eine Handvoll Engagierter, die untereinander Demokratie spielen; die Mitschüler zur Mitarbeit oder doch wenigstens zu einer Reaktion zu motivieren, gelingt äußerst selten.

Zum Teil ist das jedoch die Schuld der jungen Journalisten selbst Vor allem in Wien stehen einige Schülerzeitungen unter Perfektions-Zwang. Vom - gar nicht richtigen - Standpunkt ausgehend, daß außerhalb der Schulwelt nur eine gut gemachte und gut geschriebene Zeitung gekauft und gelesen werde, ziehen sie den voreili- genSchluß.daßSchülerebensoreagier- ten. Schon die Tatsache, daß die meisten Schüler Tageszeitungen gar nicht lesen — wie unlängst eine Untersuchung des Instituts für Jugendkunde ergeben hat—müßte sieeines Besseren belehren. Einige der Schülerzeitungen aus den Bundesländern, die journalistische Begabung für eine Mitarbeit an der Zeitung nicht voraussetzen, verzeichnen die selben Verkaufsziffem wie ihre „perfekten” Kollegen. Sie bringen Gedichte und Kurzgeschichten von Schülern, selbst wenn diese hohen schriftstellerischen Ansprüche nicht genügen, unter der wahrscheinlich richtigen Annahme, daß auch Schreiben und Formulieren gelernt werden müssen. Eine Schülerzeitung veranstaltet Aufsatz-Wettbewerbe, und ein Schülerzeitungsredakteur aus einem westlichen Bundesland meinte, daß Mitschüler am ehesten in einem Gespräch zur Mitarbeit motiviert werden könnten. Es fragt sich, wer hier mehr für die Förderung des Demokratieverständnisses leistet und ob eine Überbewertung der Qualität nicht eben auf Kosten dieses Lernprozesses geht.

Das um so mehr, als nur wenige Schülerzeitungen länger als vier Jahre existieren; etwa mehr als ein Zehntel der bestehenden Schülerzeitungen ist älter als fünf Jahre. Das liegt in erster Linie daran - und ist gleichzeitig ein deutliches Zeichen für mangelndes Demokratieverständnis -, daß es den jungen Redakteuren bis zu ihrem Ausscheiden aus der Schule meistens nicht gelungen ist, einen entsprechenden Nachwuchs heranzubilden. Jedes Jahr verschwinden auf diese Weise etwa zehn kleinere Schülerzeitungen und ebenso viele erblicken das Licht der Welt. Der Großteil der Schülerzei tungen ist allerdings in den Jahren entstanden, seit das Schulunterrichtsgesetz in Kraft getreten ist. Hier wurde erstmals Mitbestimmung und Mitwirkung von Schülern verankert. In der Zwischenzeit ist der Boom zwar wieder abgeflaut, aber es ist zu hoffen, daß mit dem Erlernen der Mitbestimmung und vor allem des Mitwirkens eine Atmosphäre entsteht, in der Schülerzeitungsredakteure auch lernen, ihr Engagement und ihr politisches Verständnis an ihre Mitschüler weiterzugeben. Auf ihrem Weg der Selbsthilfe sprechen vor allem die Wiener Schülerzeitungen den Wunsch nach Unterstützung durch mehr Kontakt mit den „großen Kollegen” von den Tages- und Wochenzeitungen aus.

Der weitaus größte Teil der Schülerzeitungen hat eine Auflagenhöhe von weniger als tausend Exemplaren und wird fast ausschließlich an der Schule, an der sie produziert werden, vertrieben. Rund siebzehn Prozent erreichen immerhin mehrere Schulen an einem Ort, etwa zehn Prozent ein ganzes Bundesland und fünf Prozent aller Schülerzeitungen werden im gesamten Bundesgebiet gelesen. Nicht ganz die Hälfte kann einen Teil der Kosten durch Inserate abdecken, aber fast alle Schülerzeitungen verlangen nur fünf Schilling, mehr als die Hälfte liegt mit dem Kaufpreis sogar darunter. Doch gelingt es rund einem Drittel, die Zeitung im Druckverfahren herstellen zu lassen; die übrigen vervielfältigen sie selbst oder bei befreundeten Institutionen.

Seit zwei Jahren werden vom Unterrichtsministerium Förderungspreise ausgeschrieben, zehn Preise für lokale und fünf für überregionale Schülerzei- tungen. Die „Neue Steinzeitung” vom Stiftsgymnasium Melk, „Die Lupe” vom Kinderdorf Pöttsching und die beiden überregionalen Schülerzeitungen „Kritik” (Wien) und „Die Rübe” (Vorarlberg) wurden bereits zweimal ausgezeichnet. Schon die Namen dieser Zeitungen zeugen von Phantasie, die anderen stehen ihnen jedoch nicht nach: „Gruftspion”.

„Wühlmaus”, „Senftiegel”, „Snoopy”, „Pranger” oder „Denken und Nicken” sind Beispiele dafür.

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