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Der Mensch erträgt jegliche Unbill leichter, wenn er ihr einen Sinn zu verleihen vermag, und sei es nur der, ihm eine Lektion erteilt zu haben. Wir stecken noch mittendrin, aber schon wollen wir Lehren ziehen aus dem Ganzen. Einsicht wird angestrebt und dann, natürlich, Besserung. Religiöse Deutungsmodelle – die Seuche als „Geißel Gottes“ –, wie sie im Aids-Diskurs noch eine Rolle spielten, haben anscheinend ausgedient, tatsächlich erscheinen sie in neuem Gewand, als ökomoralische Selbstgeißelung.

Die Kausalität von Schuld und Sühne bleibt erhalten, wenn die Fütterung von Rindern mit Tiermehl oder der Verzehr von Fledermäusen und Schuppentieren durch den Menschen als entartete Praxis am Ursprung der Infektion ausgemacht wird. „Ein Virus, das alle Menschen heimsuchen kann“, so Judith Schalansky in der Süddeutschen, lehre uns, wie „lebensnotwendig es ist, die Welt als einen Organismus zu begreifen“. Die Schlussfolgerung leuchtet mir ein, doch schlösse sie Ähnliches für die Zukunft aus? Wir wollen unbedingt, dass an Unglück und Katastrophe jemand schuld ist, notfalls wir selbst als Spezies. Wir ertragen es nicht, dass etwas womöglich Resultat einer Verkettung unglücklicher Umstände ist, Zufall, einfach Pech.

Wir laborieren außerdem an der narzisstischen Kränkung, dass dagegen kein Kraut der Wissenschaft gewachsen sein soll. Dass der chinesische Gourmet ihm teures Getier künftig von seinem Speisezettel streicht, wird man andernorts gutheißen. Auch gibt es andere praktische Lektionen für die Vorsorge gegen Epidemien: die Nachrüstung von Gesundheitssystemen, die Ausstattung von Spitälern, die Ausbalancierung von Grundrechten, eine weniger demütige Haltung von Kirchen und Religionsgemeinschaften gegenüber der Obrigkeit. Auf abstraktere Einsichten, gar auf Besserung des Homo sapiens würde ich nicht wetten.

Die Autorin ist Germanistin und Literaturkritikerin.

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