Nussknacker-Suite

Artilleriebeschuss. Die ukrainischen Truppen können die Bilder der russischen Einkesselung in real time beobachten, die Technologie ist von den Amerikanern zur Verfügung gestellt. Die Kämpfenden sehen, wie sich die Schlinge um den eigenen Hals zuzieht. Mariupol vor dem Fall. Auf dem Schlachtfeld wird entschieden, in diesem Wettlauf mit der Zeit. Kommt das Militärgerät überhaupt an, beherrscht man die Waffensysteme gut? Die Infanteristen sind schon tot. Das Vokabular lässt versteinern. Was nützt der Heldentod?

Gas ab, Öl weg. Das ist der wahrhaftige Widerstand für den Frieden. Die sozialen Unruhen hier sind prognostiziert, spricht für Atom. Das tut den Menschen nicht gut, wohin mit dem Müll? Unser Bundeskanzler fliegt hinter den Mond, glaubt an Märchen. Ach, stammten sie nur aus der Feder E. T. A. Hoffmanns. Dann wären ihm ein paar Zähne ausgebrochen, aber die Nuss wäre geknackt und die Ukraine befreit. Dem ist nicht so: Der ganze Körpereinsatz wird abverlangt. Jeder kommt dran. Frieren ist noch das Geringste. Ich klage dem geschätzten Kollegen Herbert Wimmer beim Lunch die peinliche Ohnmacht. Wir besprechen die Lage der Künstler im Exil, heiße Debatten, die im Ballett abgehandelt werden, das Pas de deux der Geschlechtsumwandlung in „Lili, the Danish Girl“, das gerade im Salzburger Landestheater läuft und eine Körpergeschichte nur mit dem Körper erzählt. Ich muss diesen Kampf sehen.

Die Mitglieder des Kiev City Ballet sitzen unterdessen auf der Exilbühne in Paris fest. Einige Tänzer, so las ich, entschieden sich für das Schlachtfeld. Das ist der Plot für Filme der Zukunft, persönliches Dilemma im universellen Kontext. Wer will das schreiben? Wie würdest du dich entscheiden? – Wir schweigen, da sagt der Dichter im Versuch, Ernst und Unsinn meiner Frage zu knacken: Ich bin ja kein Balletttänzer, eher ein Ballettsitzer.

Die Autorin ist Schriftstellerin.