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Früher und später Schostakowitsch

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Dmitri Schostakowitsch ist seit drei Jahren tot, aber an die „abschließende Würdigung“ wagt sich vorerst noch niemand heran. Sie ist auch noch gar nicht möglich. Nicht nur wegen der Unzugänglichkeit wichtiger Quellen, sondern mehr noch wegen der Virulenz dieses Lebenswerkes, seiner potentiellen Zukunftsbedeutung, seiner ungeheuren inneren Widersprüche. Keiner von vergleichbarer Bedeutung hat unter solchem politischen Druck komponiert, so einschneidende Kompromisse gemacht und dabei in der Anpassung so unermüdlich nach Möglichkeiten gesucht, sich selbst treu zu bleiben und das Wesentliche, sein Wesentliches, zu bewahren und in den Kompromiß einzubringen.

In den ganz frühen und den ganz späten Kompositionen lernen wir den unverzerrten, noch nicht unter den stalinistischen Druck geratenen Schostakowitsch kennen. Nach der „Nase“ (FURCHE Nr. 10/1978) bringt Melodia Eurodisc zwei Langspielplatten, die Spannung und Kontinuität zwischen Früh- und Spätwerk vermitteln und ahnen lassen, was von Schostakowitsch noch zu erwarten gewesen wäre, Wäre ihm etwas mehr Zeit gegönnt gewesen. Eine der großen Konstailten in seinem Schaffen war die Beschäftigung mit dem Tod, der uns schon in den einem verstorbenen Freund gewidmeten Stücken für Streichorchester pp. 11 des Achtzehnjährigen entgegentritt. Sie trugen ihm 1926 heftige Kritik daheim und zwölf Jahre später Begeisterungsstürme in Paris ein. Ein Jugendwerk von ungeheurer innerer Spannung, in dem Mahler als das große Vorbild erkennbar wird.

50 Jahre später entstehen die „Michelangelo-Lieder“ für Baß und Orchester, in denen sich Schostakowitsch, schon in Kenntnis des nahen Endes, kongenial mit den Gedanken des 80jährigen Michelangelo auseinandersetzt. Die zweite Platte mit dem Untertitel „Seine letzten Werke“ enthält die Vertonung der „Vier Gedichte des Hauptmanns Lebjadkin für Baß und Klavier“ op. 146 und, vor allem, die Sonate für Viola und Klavier op. 147, die er mit letzter Kraft vollendete. Ein Werk voll der Trauer und voll der Schönheiten, ein Werk der Anklänge an Beethoven, ein Werk, das bei jedem Hören Neues preisgibt. Die (hervorragenden) Aufnahmen entstanden in der Sowjetunion, unter anderen mit Jew-gerüj Nesterenko (Baß) sowie Fjodor Drushinin, bei dem sich der Komponist nach spieltechnischen Details der Viola erkundigte und dem er sein letztes Werk widmete. H.B.

DMITRI SCHOSTAKOWITSCH: Michelangelo-Lieder und Stücke für Streichorchester; Lieder op. 146 und Bratschen-Sonate, Melodia Eurodisc 28.356 und 28.357.

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