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Gehirn, Selbst und Seele

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Bekenntnisse zur Unsterblichkeit der Seele sind in unseren Tagen selten. Ein solches aus dem Mund nicht bloß eines Naturwissenschaftlers, sondern sogar eines der bedeutendsten Neurophysio-logen unserer Tage zu vernehmen, mag immerhin aufhorchen lassen.

Auf Einladung von Erhard Busek sprach Sir John Eccles, 1963 mit dem Nobelpreis für Medizin ausgezeichnet, dieser Tage im „Club Pro Wien” zum Thema „Language, Thought and Brain”. In engem Zusammenhang mit der von Karl Popper entwickelten Drei-Welten-Theorie entfaltete Eccles eine dualistische Hypothese, die ihn zur Annahme einer Einzigartigkeit und Einmaligkeit unseres Selbst führte.

In jener Schlichtheit der Sprache, die immer mehr das Markenzeichen großer Wissenschaftler zu werden scheint, legte Eccles die komplizierten Beziehungen zwischen der physiologischen Verfaßtheit unseres Gehirns und dem bewußten Selbst dar, für das das Gehirn notwendig, aber keineswegs ausreichend isjt. Mit einer nahezu archaischen, oder was dasselbe bedeutet, kindlichen Fähigkeit des Staunens und der Verwunderung, einem Anerkennen von Geheimnis und Mysterium, entwik-kelte Eccles die Gründe, die ihn zur Annahme einer Seele und damit zur Fortsetzung eines in den letzten Jahren nahezu verpönten Dualismus veranlassten.

Nun ist gerade das Leib-Seele- oder Körper-Geist-Problem zumindest in der Philosophie uralt. Von Piaton bis Sartre zeichneten sich die verschiedensten philosophischen Lösungsversuche ab. Radikaler Materialismus und Be-haviorismus durchhauen den gordischen Knoten durch Reduktion auf physiologische Vorgänge, philosophische Postulate einer Unabhängigkeit des Geistes von materiellen Grundlagen gerieten mit Erkenntnissen der Neurophysiologie in Widerstreit und konnten sich vornehmlich in unserer von Wissenschaftsgläubigkeit durchdrungenen Welt kaum behaupten.

Eccles' Thesen versuchen demgegenüber beiden Bereichen gerecht zu werden. Den Anstoß erhielt Eccles sicher von der genannten Dreiweltentheorie Poppers, auch wenn er in seinen Folgerungen weit darüber hinausgeht.

Daß dabei der Sprache eine wichtige und entscheidende Rolle zukommt, wußte Eccles auch dort mit der Unabhängigkeit des Selbst zusammenzubringen, wo die neuesten Schimpansenexperimente einen nur graduellen Unterschied zwischen menschlicher und tierischer Sprache nahezulegen scheinen.

Eccles bekannte sich so zu einem Dualismus, der die Möglichkeit der Existenz einer Seele nicht nur offenhält, sondern nachgerade fordert.

Die Bescheidenheit und die zutiefst antidogmatische Grundhaltung, Tür die Eccles eintrat, ist umso beachtlicher, als seine jahrzehntelange Arbeit auf dem Gebiet der Neurophysiologie des Gehirns, wie er selbst bekannte, ihn zu dieser Haltung führte.

Die Konzeption Eccles' verleiht auch der Wissenschaft einen neuen Stellenwert. Ohne sie zu verteufeln, gilt es, sie in ihren Ansprüchen, Erfolgen aber auch Grenzen zu sehen, ihre entzaubernde und entmythisierende Funktion bricht sich an der Anerkennung jener Geheimnisse von Leben, Mensch und Welt, für die unsere eigene Existenz gerade mit ihrer und in ihrer Verflechtung von Gehirn und Selbst das eindringlichste Beispiel darstellt.

So wenig sich Eccles einerseits scheute, die prozessualen Vorgänge der reinen Hirnmasse, des Gehirnsubstrats, mit einem Computer zu vergleichen, so sehr legte er andererseits Bedacht darauf, das Selbst von diesen physiologischen Prozessen abzusetzen. Lebensanfang und Lebensende bilden so zwei geheimnisvolle Geschehnisse, innerhalb derer nicht zuletzt durch naturwissenschaftliche Kleinarbeit und Detailanalyse vieles geklärt und aufgehellt zu werden vermag, die sich aber als solche jedwedem Erklärenwollen entziehen.

Daß Eccles keinerlei Patentrezepte hinsichtlich der Existenz der Seele und ihrer Unsterblichkeit vorzuweisen vermag, macht seine Ausführungen nur noch eindringlicher.

Dort, wo jedwede genetische Determination fallengelassen werden muß, wo wissenschaftlich gesicherte Methodik nicht mehr zureicht und an ihre eigenen Grenzen stößt, ist in der Tat alles offen. Wo das Gemisch von Zufall und Notwendigkeit der beherrschenden Wissenschaftsgläubigkeit zweifellos mehr entgegenkommt, plädierte Eccles für Bescheidenheit und dankbare Annahme der Geheimnishaftigkeit von Leben und Tod.

Ganz vermag man sich des Eindruk-kes nicht zu erwehren, daß die gegenwärtige Diskussion des Problems von Leib und Seele ihre Vorzeichen gewandelt hat. Waren es noch vor wenigen Jahren die Philosophen und Theologen, die oft in krassem Gegensatz zur Naturwissenschaft verzweifelt an traditionellen Antworten festhielten, so sind es heute bei weitgehender Umkehrung die Wissenschaftler, die diese Antworten bekräftigen, während Theologie und Philosophie sich manchmal sogar ihrer selbst schämend dem abfahrenden Zug der Wissenschaft nachlaufen.

Und nicht allein dies machte die Ausführungen von Sir John Eccles zu einem bedeutsamen Ereignis.

Univ.-Prof. Dr. Peter Kampits lehrt am Institut für Philosophie der Universität Wien und leitet die Abteilung für Kulturphilosophie und Philosophische Anthropologie.

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