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Das Bett - Ein Lieblingsgebetsort

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N- ach den Ermittlungen des Gallup-Institutes geben 98 Prozent der US-Bürger an, daß sie beten. Aber nur ein Zehntel der Betenden geht zu diesem Zweck in eine Kirche, Synagoge oder Moschee. Denn der bevorzugte Gebetsort ist das Bett, die bevorzugte Gebetszeit ist „vor dem Einschlafen".

Vergeblich blättert man in einschlägigen Büchern, um herauszubekommen, wieso gerade das Bett zu einem Gebetsort, vielleicht sogar zu einer Art Hauskapelle geworden ist.

Die Tradition des Betens kennt ganz andere Orte. Die frühe

Menschheit hat unter freiem Himmel gebetet: auf den Bergen, in heiligen Wäldern, an heiligen Seen, in heiligen Höhlen.

Und die monotheistischen Religionen rufen zum Gebet in die Kirche, die Synagoge, die Moschee. Aber die „lieben Gläubigen" bleiben zu Hause und beten im Bett.

Da scheint - spät aber doch - ein Wort aus der Bergpredigt befolgt zu werden: „Wenn du aber betest, dann geh in dein Kabinett und schließ die ur zu. ,

„Kabinett" - Luther übersetzt „Kämmerlein" - meint eigentlich

die Speisekammer. Dieser lichtlose Schuppen war im biblischen Bauernhaus der einzige Raum, den man versperren konnte. Aber welche Wohnung hat heutzutage schon einen versperrbaren Raum, wohin man sich zurückziehen kann, um mit seinem Gott allein sein zu können?

Und darum beten die Leute gut jesuanisch im Bett - vielleicht sogar mit dem Kopf unter der Tuchent -, das ist heimelig und heimlich zugleich.

Das Bett signalisiert zugleich, daß Glaube und Religion längst Privat-

sache geworden sind.

Der biblische Pharisäer hat in aller Öffentlichkeit gebetet, weil er mit seiner Frömmigkeit angeben wollte. Beim modernen Pharisäer ist es genau umgekehrt. Der gibt in der Öffentlichkeit mit seiner Glaubens-losigkeit an. Aber heimlich macht er dann sein Bett zur „Kirche" und versteckt sein wahres, frommes Gesicht hinter den Polstern.

Man sollte also das antikirchliche Getue vieler Zeitgenossen nicht allzu ernst nehmen, bevor man nicht weiß, was sie im Bett vor dem Einschlafen tun.

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